Ivanhoe
abweisend.
»Zieh vorüber, wer du auch seiest,« rief eine tiefe, rauhe Stimme aus der Hütte. »Störe nicht den Diener Gottes und des heiligen Dunstan in seiner Abendandacht.«
»Würdiger Vater,« entgegnete der Ritter, »ein armer Wanderer, der sich in den Wäldern verirrt hat, gibt dir Gelegenheit, deine Barmherzigkeit und Gastfreundschaft zu betätigen.«
»Guter Bruder,« erwiderte der Insasse der Einsiedelei, »es hat unserer lieben Frauen und dem heiligen Dunstan gefallen, mich eher selber solcher Barmherzigkeit bedürftig zu machen, als daß ich sie irgendwem erweisen könnte. Ich habe keine Speise hier, die auch nur ein Hund mit mir teilen möchte, und selbst ein Pferd, das gute Behandlung gewöhnt ist, würde meine Lagerstatt verschmähen. Zieh denn deines Weges weiter und Gott geleite dich.«
»Wie soll es aber möglich sein,« wandte der Ritter ein, »daß ich mich durch einen so dichten und dunkeln Wald zurechtfinden soll? Ich bitte Euch, ehrwürdiger Vater, wenn Ihr ein Christ seid, so macht auf und bringt mich wenigstens auf den richtigen Weg.«
»Und ich, guter Bruder in Christo,« war die Antwort des Anachoreten, »bitte Euch, störet mich nicht länger. Schon habt Ihr ein Paternoster, zwei Aves und ein Credo unterbrochen, die ich armer Sünder meinem Gelübde nach schon vor Mondaufgang hätte beten müssen.«
»Den Weg, den Weg!« rief der Ritter nun etwas ungestüm, »wenn ich mich von dir keines weiteren Entgegenkommens zu versehen habe.«
»Der Weg,« versetzte der Eremit, »ist leicht zu finden. Dieser Pfad führt aus dem Walde heraus zu einem Morast und weiterhin zu einer Furt, Ihr werdet sie jetzt begehen können, denn der Regen hat nachgelassen. Wenn Ihr durch die Furt hindurch seid, so haltet Euch am linken Ufer und seht Euch vor, denn es ist da steil, und der am Abgrund über dem Flusse hinführende Steg ist, wie ich neulich gehört habe, an mehreren Stellen eingestürzt. Von da ab braucht Ihr nur geradeaus zu reiten.«
»Ein eingestürzter Steg – ein Abgrund – eine Furt und ein Morast!« unterbrach ihn der Ritter. »Nein, Herr Einsiedler! Und wäret Ihr der Heiligste, der je einen Bart getragen oder Gebete gesprochen hat, Ihr sollt mich nicht beschwatzen, daß ich in dieser Nacht noch solch einen Weg reite. Ich sage dir, der du von der Barmherzigkeit in dieser Gegend lebst, die du mir schlecht zu verdienen scheinst, – ich sage dir, du hast kein Recht, dem Wanderer in der Not eine Zuflucht zu versagen. Mach auf der Stelle auf, sonst, bei dem heiligen Kreuz, schlag ich dir die Tür ein und erzwinge mir den Eingang.«
»Guter Wanderer,« entgegnete der Eremit, »sei nicht unverschämt. Wenn du mich zwingst, zu meiner Verteidigung weltliche Waffen zu benutzen, so wirst du schlecht dabei fahren!« Und während er so sprach, ließ sich ein Heulen und Knurren vernehmen, aus dem der Ritter schloß, daß der Einsiedler, über die Drohung des Ritters erschrocken, seine Hunde herbeigerufen hatte. Aufgebracht über ein so ungastliches Benehmen des Eremiten, hob der Ritter den Fuß und stieß so ungestüm gegen die Tür, daß sie in ihren Pfosten bebte. Der Anachoret, der seine Tür nicht einem zweiten so wuchtigen Stoß aussetzen wollte, rief jetzt laut: »Geduld, Geduld! Spare deine Kraft, guter Wanderer. Ich mache schon auf, obgleich du wenig Freude daran haben wirst.«
Nun wurde die Tür geöffnet, und der Eremit, ein stattlicher, kraftvoll gebauter Mann, in einer Kutte mit Kapuze, einen Strick von Binsen um den Leib, stand vor dem Ritter. In der einen Hand hielt er eine brennende Fackel, in der anderen einen Knüttel vom wilden Apfelbaum, der so dick und wuchtig war, daß man ihn wohl eine Keule hätte nennen können. Zwei große, zottige Hunde, halb Windhund, halb Bullenbeißer, standen neben ihm, bereit, über den Wanderer herzufallen, sobald die Tür geöffnet wurde. Als aber das Licht der Fackel auf die Rüstung des draußen stehenden Ritters fiel, änderte der Eremit seine Absicht, hielt seine Verbündeten zurück, redete den Ritter im Tone bäuerischer Höflichkeit an und bat ihn, einzutreten, entschuldigte seine Angefälligkeit damit, daß soviel Räuber und Geächtete in der Gegend ihr Wesen trieben und daß dieses Gesindel weder den heiligen Dunstan noch die heilige Jungfrau und noch weniger die heiligen Männer, die ihr Dasein dem heiligen Dienste widmeten, zu respektieren pflegte. Der Ritter sah sich um. Er entdeckte nichts als ein Lager von Laub, ein hölzernes
Weitere Kostenlose Bücher