Ivanhoe
Ermattung und den Mangel eines Bettes und Nachtmahles darüber vergessen hätte. Sein Mißbehagen wuchs noch, als er sich rings von Wäldern umschlossen sah, die zwar von Gestellen und Pfaden durchquert waren, doch nur für die zahlreichen Viehherden, die hier zur Weide gingen, und für das Wild und seine Jäger gebahnt zu sein schienen.
Die Sonne, die der einzige Wegweiser des Reiters gewesen war, ging jetzt hinter den Hügeln von Derbyshire zur Küste, und bei jedem Versuch, seine Reise fortzusetzen, konnte er sich ebensogut verirren wie vorwärts kommen. Nachdem er vergebens versucht hatte, den am meisten ausgetretenen Pfad zu verfolgen, in der Hoffnung, auf ihm zur Hütte eines Bauern oder eines einsamen Waldhüters zu gelangen, und nachdem er sich klar darüber geworden war, daß er auch nicht aufs Geratewohl weiterreiten konnte, entschloß er sich, der Klugheit seines Pferdes zu vertrauen, denn die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß diese Tiere einen wunderbaren Instinkt besitzen, sich und ihren Reitern aus derartigen mißlichen Lagen herauszuhelfen. Und kaum merkte das gute Pferd, das von der langen Reise unter einem Ritter in voller Rüstung erschöpft war, an den lockeren Zügeln, daß es sich selber überlassen war, so wachten Kraft und Mut frisch in ihm auf. Vorher hatte es jeden Druck der Sporen mit einem Ächzen beantwortet, jetzt aber, stolz über das ihm erwiesene Vertrauen, spitzte es die Ohren und fiel in eine flottere Gangart. Dabei schlug es einen Pfad ein, der von dem bisher vom Ritter verfolgten Weg abbog, er ließ es aber traben. Es zeigte sich, daß er recht daran tat, denn kurz darauf erweiterte sich der Fußpfad zu einem anscheinend mehr begangenen Wege – und der Klang eines Glöckchens ließ den Ritter vermuten, daß eine Kapelle oder Einsiedelei in der Nähe wäre.
Er langte denn auch bald an einer Lichtung an, die von einem jäh aus heiterer Ebene aufsteigenden Felsen begrenzt wurde, der dem Reisenden die graue verwitterte Stirn wies. An manchen Stellen bekleidete Efeu die Wände, an anderen standen Eichen und Gestrüpp, deren Wurzeln in den Felsspalten Nahrung fanden. Wie ein Federbusch über dem Helme eines Kriegers, also die Anmut dem Schrecken anschmiegend, wehte das Grün über dem Abgrunde. Am Fuße des Felsens und an ihn gelehnt, lag eine rauhe, aus Baumstämmen des Forstes gezimmerte Hütte, deren Fugen, zum Schutze gegen das Wetter, mit Moos und Lehm verstopft waren. Davor stellte der Stamm einer jungen Fichte, des Astwerkes beraubt, ein rohes Sinnbild des heiligen Kreuzes dar. Ein Stück seitab nach rechts floß ein Quell des reinsten Wassers aus dem Felsen, das in einem zu einem Becken geformten Steine aufgefangen wurde und dann in einem ausgehöhlten Kanal rauschend sich im Walde verlierend zu Tal floß.
Neben dieser Quelle standen die Ruinen einer kleinen Kapelle, deren Dach schon halb verfallen war. Als das Häuslein noch völlig erhalten war, hatte es sechzehn Fuß in der Höhe und zwölf in der Breite gehabt. Das im Verhältnis niedrige Dach war von vier ineinanderlaufenden Bogen gestützt, die an den vier Ecken des Gebäudes aufstiegen und deren jeder auf einem kurzen starken Pfeiler ruhte. Von zweien dieser Bogen waren die Rippen stehengeblieben, obgleich das Dach zwischen ihnen eingesunken war, das über den anderen noch unversehrt war. Der Zugang zu dieser viele Jahre alten Stätte der Andacht lag unter einem niedrigen, runden Bogen, der mit einer Reihe jener gezackten Spitzen verziert war, die den Haifischzähnen gleichen und sich oft an alten sächsischen Kirchen vorfinden. Über dem Vorhofe ragte ein auf vier schmalen Pfeilern errichteter Glockenstuhl empor. Darin hing ein mit Grünspan überzogenes, verwittertes Glöcklein, dessen schwache Klänge der schwarze Ritter soeben vernommen hatte.
Das ganze ruhig-friedliche Bild lag im Zwielicht schimmernd vor den Augen des fahrenden Ritters und verhieß ihm ein Obdach für die Nacht, denn eine der ersten Pflichten solcher im Walde hausender Einsiedler war die Gastlichkeit gegen verirrte und verspätete Wanderer. Der Ritter vergeudete daher nicht die Zeit mit der Betrachtung all dieser Einzelheiten, sondern dankte dem heiligen Julian, dem Schutzpatron der Reisenden, für die ihm so gewiesene Herberge, dann sprang er vom Pferde und klopfte mit dem Ende seiner Lanze an die Pforte der Einsiedelei, um Einlaß zu begehren. Aber es dauerte ein ganzes Weilchen, bis eine Antwort kam, und die dann kam, lautete auch noch
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