Ivanhoe
mich nicht auf, es könnte dir leid tun. Ich habe eben meines Amtes gewaltet und muß mich vor Verunreinigung hüten.«
»Folgt mir, Vater!« sagte die Alte. »Ihr seid fremd in diesem Schlosse und findet ohne Führer nicht heraus. Kommt mit, ich habe mit Euch zu reden, und du, Tochter eines verfluchten Volkes, geh zu dem Kranken und pflege ihn, bis ich wiederkomme, und wehe dir, wenn du das Gemach noch einmal ohne Erlaubnis verläßt.«
Rebekka ging, und Urfried zog Cedric trotz seinem Widerstreben mit sich fort.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Die Alte führte Cedric in ein kleines Gemach und schloß hinter sich sorgfältig die Tür. Dann holte sie von einem Kredenztische einen Becher und zwei Flaschen und sagte mehr im Tone der Gewißheit als der Frage: »Du bist ein Sachse, Vater; streit es nicht ab,« setzte sie hinzu, als sie sah, daß Cedric mit der Antwort nicht recht herauswollte. »Meine Muttersprache ist Musik in meinen Ohren, wenngleich ich sie aus den Lippen der entwürdigten, erbärmlichen Sklaven nur selten höre, denen in diesem Schlosse die stolzen Normannen die niedrigsten Arbeiten auftragen. – Du bist ein Sachse, Vater, du bist nicht nur ein Diener Gottes, du bist auch ein heiliger Mann. O, wie süß klingt deine Stimme mir im Ohr!«
»Kommen denn keine sächsischen Priester in dieses Schloß?« entgegnete Cedric. »Ich dächte, es wäre ihre Pflicht, die ausgestoßenen und geknechteten Kinder dieses Landes zu trösten.«
»Es kommt keiner,« antwortete Urfried. »Oder, wenn einige kommen, dann schmausen sie lieber an der Tafel der Eroberer, als daß sie sich von ihren Landsleuten etwas vorseufzen lassen – so geht wenigstens das Gerede, denn ich selber weiß davon nichts. Seit zehn Jahren ist kein Priester in dieses Schloß gekommen, der letzte war unser ausschweifender normännischer Kaplan, der mit Front-de-Boeuf die Nächte durchschwärmte und der nun schon lange dahingegangen ist, Rechenschaft von seinem Amte abzulegen. Du aber bist ein Sachse, ein sächsischer Priester, ich muß dich etwas fragen.«
»Ich bin ein Sachse,« antwortete Cedric, »aber nicht würdig, ein Priester zu heißen. Laß mich jetzt meiner Wege ziehen. – Ich gebe dir mein Wort, ich komme wieder, oder ich schicke dir einen unserer Väter, der würdiger ist als ich, deine Beichte entgegenzunehmen.«
»Verweile noch ein wenig,« sagte Urfried. »Die Stimme, die du jetzt hörst, wird bald unter der kalten Erde verstummen. Gelebt habe ich wie ein Vieh, nun möchte ich nicht einem Viehe gleich in die Grube fahren. Aber ich muß mir Kraft holen im Wein, daß ich meine grausige Geschichte zu erzählen vermag.« Mit furchtbarer Gier goß sie einen Becher voll hinab bis auf die Neige. »Du wunderst dich, Vater,« sagte sie und sah auf, »aber da kann ich dir nicht helfen. Trink mit mir, wenn du stark genug sein willst, meine Geschichte anzuhören, du könntest sonst zu Boden sinken.« Cedric hätte es ihr gern versagt, ihr in dieser unheimlichen Zecherei Bescheid zu tun, aber in ihrem ganzen Wesen lag eine so große Verzweiflung und Ungeduld, daß er sich ein Herz faßte und ihr zu Willen war. Er leerte einen vollen Becher, und sanfter gestimmt, als er sich ihr fügte, begann die Alte:
»Vater, das jammervolle Wesen, das vor dir steht, ist nicht von Geburt an so elend gewesen. Auch ich war frei, glücklich, geehrt – ich habe geliebt und bin geliebt worden. Jetzt bin ich eine Sklavin, arm, elend, verworfen. Als ich noch schön war, war ich das Spielzeug meiner Gebieter, seit ich nicht mehr schön bin, ward ich das Ziel ihres Hohnes, ihres Hasses, ihrer Verachtung. – Wunderst du dich noch, Vater, daß ich die Menschen hasse? Besonders das Volk, das das aus mir gemacht hat? – Kann das verschrumpelte, ausgemergelte Wesen, das du vor dir siehst, jemals vergessen, daß sie die Tochter des mächtigen Thane von Torquilstone war, vor dessen Macht tausend Vasallen zitterten?«
»Du Torquil Wolfgangers Tochter!« rief Cedric und bebte zurück. »Du die Tochter jenes edeln Sachsen, der meines Vaters Freund und Waffenkamerad war?«
»Deines Vaters Freund!« wiederholte Urfried. »So steht Cedric vor mir, den sie den Sachsen nennen! Denn der edle Hereward von Rotherwood hatte nur einen Sohn. Aber wenn du Cedric von Rotherwood bist, wie kommst du zu diesem Mönchskittel? Hast du daran gezweifelt, daß dein Vaterland wieder befreit werden könnte und dich vor der Unterdrückung und Knechtung in die Stille des Klosters
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