Jäger der Nacht
sorgfältig gepackt hatte, mit frisch gewaschenen und gebügelten Hemden obendrauf, so daß sie nicht knittern konnten, und mit seinem neuen, säuberlich aufgerollten Gürtel, den mit der Adlerschnalle, den ihm sein Pflegevater geschenkt hatte.
Er hatte Abschied genommen von dem Raum, in dem er drei Jahre lang gelebt hatte, die längste Zeit, die er je bei Pflegeeltern verbracht hatte. Sein Zimmer war die ausgebaute Terrasse an der Rückseite des Bungalows. Er hatte so gern die Eichhörnchen auf dem Fensterbrett gefüttert. Und erst das morgendliche Aufwachen, wenn er aus dem Fenster blickte und durch die Zweige der Pinie den Himmel sehen konnte! Als er hörte, daß er nun wieder mit seiner leiblichen Mutter leben würde, hatte er seine Initialen, K. S., in einen der Dachsparren geschnitzt. Wer auch immer nach ihm hier wohnen würde, sollte wissen, daß dies sein Raum gewesen war.
Mrs. Crimmins brachte ihn drei Blocks weiter zur Bushaltestelle.
Er wußte, daß sie an diesem Morgen wieder unter Arthritis litt, denn immer wenn der Schmerz kam, kniff sie die Lippen zusammen. Aber sie verlor kein Wort darüber, während sie mühsam versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Und als sie mit ihm auf den Bus wartete, waren ihre Augen etwas feuchter als gewöhnlich. Als der Bus kam, der ihn in die Stadt bringen sollte, umarmte er sie und gab ihr einen Kuß auf die Wange. Kurz bevor er in den Bus stieg, drückte sie ihm eine kleine Tüte in die Hand. Dann ein letztes Winken.
Kaum war der Bus abgefahren, sah Kevin in der Tüte nach: Ein Sandwich, dick belegt mit Salami, Salat, Erdnußbutter und viel Mayonnaise. Und außerdem war da noch ein großer, saftiger Apfel. Den Apfel aß er sofort, aber das Sandwich verstaute er sicherheitshalber in seiner Windjacke. Wer weiß...
Kevin wachte wieder aus seinen Erinnerungen auf. Der Warteraum. Er hatte Hunger. Vorsichtig holte er das Sandwich aus der Tasche seiner Windjacke und wickelte es aus. Der Duft erinnerte ihn an Mrs. Crimmins’ Küche – all die herrlichen Düfte, die den Bungalow erfüllten, wenn sie kochte. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er für einen Moment das Sandwich an. Dann fixierte er das Bild von der Houghton Street, besonders den Jungen in der Kutsche, und begann zu essen.
Plötzlich stand Miss Gotter in der Tür. Sie trug ein graues Kleid; das Haar war streng zurückgekämmt. Sie sah recht sympathisch aus, obwohl der Leberfleck über ihrem linken Auge ihrem Gesicht immer dann einen etwas erstaunten Ausdruck verlieh, wenn sie sich ganz geschäftsmäßig gab. Sie sah aus, als ob sie nicht glauben könnte, was sie gerade sagte, dabei war es simpel genug: «Komm in mein Büro, Kevin, zu deiner Mutter und deinem Bruder.»
«Okay.» Kevin zerknüllte die Brottüte, stopfte sie wieder in seine Tasche und folgte Miss Gotter, die ihm den langen grünen Korridor voraustrottete.
Millie Stark trug einen Hut. Sie war beim Friseur gewesen. Ihr Kleid sah nagelneu aus. Aber Kevin erkannte seine Mutter wieder. Sie hatte immer noch den trägen Ausdruck in ihren Augen, dieselben schlaffen Wangen, und die Adern auf ihren Händen schienen noch mehr hervorzutreten als früher.
Sie erhob sich von ihrem Stuhl und umarmte ihn. «Oh, Kevin, wie schön, dich wiederzusehen.»
Kevin drückte seine Mutter an sich. Ihr Parfüm war schwer. Aber kein Zittern war in ihrer Stimme, und ihre Arme umschlossen ihn fest. «Ich freu’ mich auch.»
Sie trat einen Schritt zurück, ihre Hände auf seinen Schultern.
«Laß mich dich ansehen. Du bist ja schon ein junger Mann!»
«Kann sein», antwortete Kevin verlegen.
«Oh, nun wird alles wieder in Ordnung kommen. Wir werden wieder alle zusammen sein», sagte sie beschwingt.
Kevin dachte bei sich, daß es vielleicht tatsächlich so sein würde. Miss Gotter sagte: «Und das, Kevin, ist dein Bruder Dennis.»
Der Junge stand neben Miss Gotters Schreibtisch und sah Kevin aufmerksam an. Seine wuscheligen dunklen Haare hingen ihm tief in die Stirn. Er war klein und schmal, mit Händen, die für seinen Körper etwas zu groß geraten waren. Er hatte so etwas wie einen Schmollmund – vielleicht drückte das Dummheit aus, vielleicht kam es aber auch nur von vorstehenden Zähnen. Aber die Augen fielen ihm an Dennis am meisten auf. Sie erinnerten ihn an Tiere im Wald – wachsam, auf der Lauer im Unterholz, schwankend zwischen Zubeißen und Weglaufen.
Kevin hielt ihm seine Hand hin. «Hallo, Dennis.»
Dennis’ Griff war fest. «Hallo, Kevin»,
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