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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Bakterien
träumen.«
    Ich konnte diesen alten, arroganten Dreckskerl nicht einfach
weiterbrabbeln lassen. Ich wollte Antworten. Für Rob, für
Ben.
    »Haben Sie einen Kuhhandel mit Stalin abgeschlossen? Wie
viele Menschen haben Sie gefoltert und umgebracht?«
    Golochow schob das Kinn vor und blickte ins Wasser.
    »Sie haben mit Ihrer Frau Experimente gemacht und sie dann im
Stich gelassen!«
    »Ja. Irina.« Als er sich Nase und Stirn rieb, blieb ein
dicker Faden Schleim auf der bleichen, runzligen Haut zurück.
»Ich habe eine andere Frau aus ihr gemacht. Ich habe sie zehn
Jahre lang beobachtet. Sie war voller Hass und Missgunst, lieblos,
eine gemeine, verstockte Diebin. Also habe ich versucht, meine Fehler
zu beheben. Mit der Zeit ist es mir gelungen, die negativen
Nebenwirkungen, die bei ihr auftraten, zu beseitigen… Ich
hätte an diesem Punkt aufhören und meine Aufzeichnungen
vernichten sollen. Aber es war zu spät. Ich hatte bereits die
Aufmerksamkeit von Bestien erregt, die nichts anderes als Gier und
Hass verkörperten. Was werdet Ihr tun, Magister Faust,
der Ihr noch immer so viel wissen wollt? Welche Bestien werdet Ihr
auf die Welt loslassen, wenn Ihr alle Fäden
durchtrennt?«
    »Sie möchten mich nach wie vor aus der Welt schaffen,
stimmt’s?«, fragte ich. »Warum befehlen Sie Ihren
Kreaturen nicht einfach, mich zu erschießen?«
    »Ach«, seufzte er, streckte die Hände hoch und
schüttelte sie, als wolle er eine höhere Macht anrufen.
    Mein Zorn kochte über. »Sie sind ein erbärmlicher
Feigling«, schrie ich. »Sie selbst haben nicht den Mumm,
eine Waffe in die Hand zu nehmen und abzudrücken. Sie sind sich
zu fein dazu.« Ich hob die Hand, als wollte ich sie auf
seinen zerbrechlichen alten Nacken herabsausen lassen. Die
Männer am Strand waren mir egal.
    Golochow sah auf. Ein dünner Speichelfaden hing aus seinem
Mundwinkel. »Ich war ein Feigling. Ich hatte Angst vor
Folter und Tod. Ich habe Blut in Strömen fließen sehen und
Leichen wie Klafterholz gestapelt. Um mein Leben zu retten, habe ich
den Ungeheuern noch mehr Macht gegeben… Ströme wurden
Ozeane. Ich nahm mir vor, diese Scheusale zu stürzen. Und als
sie besiegt waren, habe ich es mir mit den wenigen Mitteln, die mir
geblieben waren, zur Pflicht gemacht, wachsam und auf der Hut zu
sein, um der Welt weitere Blutbäder zu ersparen. Wie, glauben
Sie, hat diese mörderische und unfähige Spezies bis in das
neue Jahrtausend überlebt? Aber ich war ein Narr zu glauben, so
viele wissbegierige und unmoralische Kinder aufhalten zu
können.« Er wischte sich über den Mund und spülte
die Hände im Meer. »Ich hoffe, Ihre Generation wird es
besser machen.«
    »Nein, das nehme ich Ihnen nicht ab«, knurrte ich.
    Er kniete sich ins Wasser und wandte seine Aufmerksamkeit wieder
den Stromatoliten zu. »Sie sind nicht besser als Stalin oder
Berija«, schoss ich hinterher. »Sie versuchen, unsere
hehrsten Träume zunichte zu machen. Ich möchte das Leben
der Menschen verbessern. Aber Sie haben uns die Stadt der
Hundemütter beschert.«
    Er begann, am ganzen Leib zu zittern. Einen Moment lang dachte
ich, er würde einen Schlaganfall erleiden, aber gleich darauf
schleuderte er den Segeltuchbeutel zur Seite, wirbelte im blauen
Wasser herum und funkelte mich mit einem so wilden und
hasserfüllten Blick an, wie ich ihn nie wieder erleben
möchte. Es war das Antlitz eines zornigen Gottes, wie William
Blake es gezeichnet haben mochte, ehe er das Papier zerrissen und die
Fetzen verbrannt hatte.
    »Ja, und man wird uns dafür bestrafen!«, sagte er.
»Wissen Sie, wie die Botschaft lautet? Wie das wenige lautet,
das ich in sieben Jahrzehnten mitgehört und übersetzt habe,
die Summe all meiner guten Taten auf dieser Welt, in diesem gottlosen
Jahrhundert?« Er griff nach unten und tätschelte den
Stromatoliten zwischen seinen Knien. »All die Kleinen
Mütter, die in unseren Eingeweiden flüstern und in den
Wäldern, Dschungeln und Ozeanen, die wir mit aller Macht zu
zerstören suchen, sind nicht glücklich. Sie sind gar nicht
glücklich mit uns. Wir sind eine bittere Enttäuschung
für sie. Sie werden einen totalen Krieg gegen uns fuhren.
Und das ist ein Urteil, dem sich keiner von uns entziehen kann. Weder
die auf dem Schiff, noch jene an Land. Kein Mensch.
Niemand.«
    Er wandte das Gesicht der grauen Sturmwand über dem Wasser
zu.
    »Wie lange, glauben Sie, haben wir noch, junges
Ungeheuer?«, fragte er, noch immer zitternd.

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