Jaegerin der Daemmerung
blieb nicht mehr, bevor sie sich in die Lüfte schwingen und nach Hause fliegen musste. Sie hoffte, dass die Wölfe sich beeilten. Anders als die meisten Karpatianer, die die Morgendämmerung durchaus ertragen konnten, brannte ihre Haut bereits bei den ersten Sonnenstrahlen. Sie hatte den Großteil ihres Lebens unter der Erde zugebracht, sodass sie diese Überempfindlichkeit dem Licht gegenüber entwickelt hatte. In dem Moment, in dem die Sonne begann aufzugehen, konnte sie ihr Brennen bereits fühlen.
Natürlich konnte ihre Lichtempfindlichkeit auch damit zusammenhängen, dass ihre Haut unendlich lange gebraucht hatte, sich zu regenerieren, nachdem sie ihr sozusagen vom Leib geschält worden war und sie selbst nur noch aus Knochen und rohem Fleisch bestand. Manchmal, beim Aufwachen, fühlte sie immer noch die Klingen, die ihren Körper in Einzelteile zerhackten, damit diese den Wölfen auf einer Wiese zum Fraß vorgeworfen werden konnten. Sie erinnerte sich bis heute an das raue Gelächter ihrer Peiniger, als diese die Befehle ihres schlimmsten Feindes Xavier ausführten.
Der Wind frischte auf, hoch über ihren Köpfen eilten dunkle Wolken hinweg - die Vorboten eines nahenden Sturms. Nachdem Ivory den Schutz der Bäume aufgesucht hatte, schloss sie die Augen, um das Rudel zu suchen. Sie hatten eine alte, ausgemergelte Hirschkuh aufgespürt, die aufgrund einer alten Verletzung leicht lahmte und die sie jetzt abwechselnd in Ivorys Richtung trieben.
Mit leiser Stimme bat Ivory die Hirschkuh um Verzeihung, erklärte ihr die Notwendigkeit, das Rudel zu füttern, während sie darauf wartete, dem Tier den Fangschuss zu geben. Minuten verstrichen, als ein lautes Knacken des Eises die Stille durchbrach. Fast zeitgleich kam die gehetzte Hirschkuh in Sicht, dicht gefolgt von einem Wolf, der lautlos mit seinen großen Pfoten über die Eisfläche lief. Von allen Seiten tauchten jetzt die Wölfe auf, trieben das Tier in die Enge, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als direkt auf Ivory zuzuhalten. Es war nicht das erste Mal, dass sie in schlechten Zeiten auf diese Form der Jagd zurückgriffen.
Damit das Tier nicht zu lange leiden musste, wartete Ivory, bis es nah genug war, um es mit einem einzigen Schuss zu töten. Ehe das Alphatier sich dem Kadaver nähern konnte, entfernte Ivory flink den Pfeil und sah zu, dass sie so schnell wie möglich auf Abstand ging. Sie musste mit ihrer Energie haushalten und durfte sie nicht dafür aufbrauchen, um ein Rudel hungriger Wölfe zu steuern, dem gerade ein Festmahl serviert worden war.
Ivory rannte los und begann mitten im Sprung, ihre Gestalt zu wechseln. Die Wölfe glitten über die Haut ihrer Arme und verwandelten sich wieder in Tätowierungen, als sie mit ihr durch die Wolken stürmten. Wie immer genoss sie diese Art des Reisens, und sobald sie sich in die Lüfte schwang, hatte sie wie jedes Mal das Gefühl, als wäre eine Last von ihren Schultern gefallen. Während sie schnell zu ihrem Versteck flog, schützten dräuende dunkle Wolken ihre Haut vor dem heller werdenden Licht. Vielleicht erschien ihr ihre Bürde auch nur leichter, weil sie sich ihrem Zuhause näherte, in dem sie sich sicher und geborgen fühlte.
Sie hatte es nie gelernt, völlig entspannt zu sein, wenn sie sich über der Erde befand, denn hier konnten überall Feinde lauern. Ihr Versteck hatte sie gut verborgen und hinterließ niemals Spuren in der unmittelbaren Nähe des Eingangs, sodass niemand in der Lage war, sie dorthin zu verfolgen.
Ihr einzigartiges Sicherheitssystem konnte von niemandem geknackt werden, dessen war sie sich sicher. Der Eingang wurde nicht durch die üblichen Zaubersprüche geschützt, sodass weder Karpatianer noch Vampire überhaupt dessen Existenz auch nur erahnten. Schon vor vielen Jahren hatte sie herausgefunden, welche Schichten der Erde ihre Feinde bevorzugten, daher mied sie sie einfach.
Ungefähr zehn Kilometer von ihrem Zuhause entfernt setzte sie zum Sinkflug an und landete mit ausgestreckten Armen, damit die Wölfe von ihr abspringen und sich auf die Suche nach Beute begeben konnten. Sie alle brauchten dringend frisches Blut. Als die Wölfe zielgerichtet losliefen, vermutete Ivory einen Jäger oder eine Jagdhütte in unmittelbarer Nähe. Sollte sich die Fährte als nutzlos erweisen, so entschied sie, würde sie eben einen Abstecher in das nächstgelegene Dorf machen. Außer, wenn die Umstände ihr keine andere Wahl ließen, vermied Ivory es, in unmittelbarer Nähe ihres Verstecks
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