Jagd auf Jesse James
dazu«, sagte der Mann und nahm seine Zigarre aus dem Mund.
»Sehr wohl, Sir.«
»Heißen Toast«, erklärte die Frau.
»Gebutterten, heißen Toast«, sagte der Mann.
»Wie Sie wünschen.« Jona griff nach dem Teller des Mannes.
In diesem Augenblick geriet der Waggon ins Schlingern. Der Zug fuhr gerade in eine Kurve. Der Boden unter Jonas Füßen vibrierte, als sei ein Erdbeben im Gange. Sie geriet aus dem Gleichgewicht und kam prompt mit der Glut der Zigarre in Berührung. Sie zuckte zurück, dabei stieß sie das bauchige Weinglas um, das vor der Frau stand.
Der Wein ergoss sich in die Suppe, spritzte über den Tellerrand und nässte die Tischdecke und die Bluse der Frau.
Jona lief rot an. Vor Schreck stand sie wie angewurzelt. Am liebsten hätte sie sich in ein Mauseloch verkrochen. Es war ihr erster Tag als Serviererin im Zugrestaurant, und ein Unglück hatte das andere im Schlepptau. Es war wie verhext! Zuerst hatte sie dem Colonel an Tisch sieben das falsche Essen gebracht, dann war ihr vor der Durchreiche eine Schüssel gekochter Bataten aus der Hand gerutscht, und jetzt verschüttete sie ein Glas Chateau Margaux, das glatte drei Dollar kostete.
»O, Madam, es tut mir so leid.« Sie griff nach der Serviette und begann, mit fliegenden Händen die Flecke vom Tischtuch zu tupfen.
Die Dame aus New York starrte sie mit abgrundtiefer Verachtung an. »Gehen Sie mir aus den Augen, Sie ungeschicktes Ding! Ich kann Ihren Anblick nicht länger ertragen.«
»Madam, ich … ich …« Jona war den Tränen nahe.
Mr. Henry, der Oberkellner, erschien. Er bat die aufgebrachten New Yorker in aller Form um Nachsicht, dann nahm er Jona am Ellbogen und schob sie über den Mittelgang zur Durchreiche der Bordküche.
»Du bist gefeuert«, verkündete er, als sie im Office vor der Küche standen.
»Gefeuert?« Jona rang um Fassung. »Aber der Mann hat mir die Hand verbrannt!«
Mr. Henry hob seine behandschuhten Hände. »Ich will nichts hören. Pack deine Sachen und verschwinde. Und halte dich in Zukunft von Speisewagen fern.«
»Das ist ungerecht.« Jona war am Boden zerstört. »Ich habe das doch nicht gewollt.«
»Aber du hast es getan.« Mr. Henry zupfte an seinen weißen Glacéhandschuhen. »Nur das zählt. Geh in deine Kabine und mach dich abmarschbereit. Dein Ausflug in die Welt der Gastronomie ist zu Ende. Der Zug hält in einer Stunde.«
»Mr. Henry, ich …«
»Tu’, was ich dir gesagt habe.«
Jona gab es auf. Mit dem hartherzigen Kerl war nicht zu reden. Die Würfel waren gefallen. Ihre Reise war definitiv beendet. So ein Mist!
»Was ist mit dem Lohn, der mir noch zusteht?«
Henry fuhr sich über sein pomadisiertes Haar. »Lohn? Für was? Soll das ein Witz ein, Jamie?«
»Ich heiße Jona«, fauchte sie.
»Dafür kann ich nichts.« Der Mann im Frack grinste süffisant. »Und jetzt entschuldige mich, ich muss mich um die Gäste kümmern, die du mit Wein begossen hast.«
Ohne ein weiteres Wort verließ Jona den Speisewagen. Über die Brücke gelangte sie in den nächsten Waggon. Als sie in das Abteil trat, das sie sich mit zwei anderen Serviererinnen bewohnte, wusste sie nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Seitdem sie ihr Engagement in der texanischen Tanzbar aufgegeben hatte, schien sich die ganze Welt gegen sie verschworen zu haben.
Alles, was sie anpackte, ging schief.
Sie ließ sich auf die Sitzbank nieder und starrte auf die Brandblase an ihrem Zeigefinger. Schuld an dem ganzen Übel war dieser gottverdammte Dreckskerl Jesse James!
Das Scheusal hatte Tim erschossen!
Tim Brandon, den besten Menschen auf der Welt. Ihren Tim, der zu ihr unterwegs war, um sie zu heiraten und für alle Zeit mit ihr zusammen zu sein.
Ein Gefühl von Hass, wie es Jona noch nie empfunden hatte, überkam sie. Es war so stark, dass sie am ganzen Körper zu zittern begann.
Im nächsten Moment brach sie hemmungslos in Tränen aus. Die Hände vors Gesicht geschlagen, weinte sie, bis ihr die Worte des Oberkellners im Kopf dröhnten.
Pack deine Sachen und verschwinde!
Unter Aufbietung all ihres Willens gelang es Jona, ihre Verzweiflung abzuschütteln. Sie strich sich durchs Haar, atmete tief durch und stand auf. Minutenlang verharrte sie vor dem Fenster und blickte auf die unendliche Prärielandschaft hinaus.
Sobald der Zug hielt, musste sie aussteigen. So hatte es Mr. Henry gefordert. Leider besaß sie kaum noch Geld, sodass sie sich kein Ticket für eine Weiterfahrt als Passagier leisten konnte. Diese verdammten
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