Jagdhunde (German Edition)
Artikel über ihren Vater gelesen hatte. »Eigentlich wollte ich dich anrufen und informieren, aber jetzt bist du ja hier.«
Line nickte. Sie wusste, dass er den Artikel maßgeblich vorangetrieben hatte, und kannte ihn zu gut, um jetzt eine Diskussion darüber zu beginnen. Er war ein standhafter Verfechter der kommerziellen Interessen der Zeitung. Für ihn ging es darum, Leitartikel zu produzieren, und sie hatte keinerlei Interesse, ihn jetzt womöglich über eine freie und unabhängige Presse schwafeln zu hören. Außerdem wäre er wohl ohnehin nicht an ihren Gegenargumenten interessiert. Frosten war jetzt schon fast vierzig Jahre bei der Zeitung. In seinen Augen war sie noch immer eine unbedeutende Anfängerin.
»Das ist eine Sache, die wir nicht aufhalten können«, sagte er.
Line nickte wieder.
»Hast du mit deinem Vater gesprochen?«
»Ja.«
»Und was sagt er?«
»Dazu wird er selbst einen Kommentar abgeben.«
Frosten nickte. »Er hat natürlich das Recht, sich zu äußern.«
Line gestattete sich ein schiefes Grinsen. Eine Erwiderung auf Beschuldigungen zu geben, die auf der Titelseite erschienen, war kaum einen feuchten Dreck wert. Außerdem war es ein hoffnungsloses Unterfangen, kurz vor Drucklegung der Zeitung am Telefon auf eine Sache einzugehen, an der die ganze Redaktion gearbeitet hatte.
»Hör zu, Line«, fuhr Frosten fort. »Ich verstehe, dass das nicht einfach ist. Das war es auch für mich nicht, aber bei dieser Sache geht es um weitaus mehr als Gedanken und Gefühle. Es ist sehr wichtig, dass die Presse als kritischer Beobachter auftritt. Das hier ist eine Sache von allgemeinem und nationalem Interesse.«
Line stand auf. Seine Argumente waren scheinheilig und konnten nur mühsam überdecken, was ihm wirklich wichtig war: die Höhe der verkauften Auflage. Die Integrität der Zeitung konnte sicherlich auch bewahrt werden, ohne eine Sensationsausgabe mit ihrem Vater als Hauptperson zu fabrizieren. Die Sache musste doch überhaupt nicht an eine bestimmte Person gebunden sein. Genauso gut hätten die Vorwürfe an die Polizei als Organisation und öffentliche Behörde gerichtet sein können. Aber so etwas würde sich natürlich nicht so gut verkaufen.
»Wenn du Zeit für dich brauchst, kannst du gern ein paar Tage freinehmen«, bot ihr der Redaktionsleiter an. »Meinetwegen kannst du auch erst zurückkommen, wenn das alles vorbei ist.«
»Nein, danke.«
»Ich glaube, das hätte alles noch viel hässlicher werden können, wenn wir da jemand anderen rangelassen hätten.«
Line schaute weg. Der Gedanke an das Gesicht ihres Vaters auf der Titelseite der morgigen Zeitung verursachte ihr Übelkeit.
»Lass es gut sein«, bat sie.
»Line!«
Der Ruf kam vom Nachrichtenchef. Er stand mit einer der Abendreporterinnen zusammen, riss ein Blatt von ihrem Notizblock ab und kam mit schnellen Schritten näher.
»Ich weiß, du hast frei und es passt bestimmt ganz schlecht. Aber könntest du vielleicht eine Sache übernehmen?«
Line kam gar nicht zum Nachdenken, sondern fragte nur automatisch: »Um was geht’s denn?«
»Mord in Gamlebyen in Fredrikstad. Wir haben zwar noch keine Bestätigung von der Polizei, aber wir haben einen Tipp von jemandem bekommen, der neben einer blutigen Leiche steht.«
Line spürte, wie die Neuigkeit sie elektrisierte und gleichzeitig beruhigte. Es waren genau solche Sachen, mit denen sie gern arbeitete. Darin war sie gut. Sie hatte einen Riecher, um an Quellen heranzukommen, und eine ganz eigene Fähigkeit entwickelt, diese anzuzapfen und zu analysieren, sodass sie wusste, welche sie verwenden konnte und welchen eher nicht zu trauen war.
Frostens Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Er ruft uns vom Tatort an?«
»Erst die Polizei, dann uns.«
»Falsche Reihenfolge, aber okay. Wer besorgt uns denn Fotos?«
»In zehn Minuten ist ein Freelancer zur Stelle, aber wir brauchen einen Reporter.«
Joakim Frost drehte sich zu Line. »Wenn du keine freien Tage nehmen möchtest, dann solltest du jetzt besser aufbrechen«, sagte er und ging mit schnellen Schritten zu seinem Schreibtisch.
Line betrachtete seinen Rücken und begriff, dass es wohl wesentlich angenehmer für ihn und die anderen wäre, wenn sie die nächsten Tage in der Østfold-Provinz verbrächte, als hier in der Redaktion zu hocken.
Der Nachrichtenchef reichte ihr einen Zettel mit Namen und Telefonnummer des Anrufers, der die Leiche gefunden hatte. »Das könnte sehr interessant sein«, sagte er und fügte mit
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