Jagdhunde (German Edition)
Anwalt hat einen Antrag bei der Wiederaufnahmekommission eingereicht«, erläuterte Line, nachdem der Redaktionsleiter gegangen war.
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.
Der Nachrichtenchef schob einen Stapel Papiere zusammen und folgte dem Redaktionsleiter in die Sitzung. Line überflog den Artikel noch einmal. Eigentlich erhielt er mehr Fragen als Antworten und sie begriff, dass diese Sache als unterhaltsamer Feuilletonstoff gehandelt werden würde, nicht nur in ihrer Zeitung.
»Ein Privatdetektiv hat an dem Fall gerbeitet«, fuhr sie fort.
»Was hat das eigentlich mit mir zu tun?«, fragte Wisting, doch Line hörte an seiner Stimme, dass er genau wusste, was nun passieren würde.
Damals, vor siebzehn Jahren, hatte ihr Vater die Ermittlungen geleitet. Inzwischen war er zu einem profilierten Polizeibeamten herangereift. Ein bekanntes Gesicht, das zur Verantwortung gezogen werden konnte und es einfacher machte, die Tagesordnung zu bestimmen.
»Sie behaupten, es hätte manipulierte Beweise gegeben«, erklärte Line.
»Welche Beweise?«
»Die DNA-Probe. Sie glauben, die Polizei hätte sie gefälscht.«
Line konnte ahnen, wie sich die Finger ihres Vaters um die Kaffeetasse auf dem Tisch vor ihm krallten.
»Und womit begründen sie das?«, wollte er wissen.
»Der Anwalt hat die Beweisstücke erneut analysieren lassen und glaubt, dass die Zigarettenkippe, auf der die Probe gefunden wurde, vertauscht war.«
»Das ist doch Unsinn.«
»Der Anwalt meint, er könne es beweisen, und hat die ganze Dokumentation an die Wiederaufnahmekommission geschickt.«
»Ich verstehe nicht, wie er da was beweisen will«, murmelte Wisting.
»Sie haben auch einen neuen Zeugen«, fuhr Line fort. »Er kann Haglund ein Alibi geben.«
»Und wieso hat der Zeuge dann damals nicht ausgesagt?«
»Das hat er«, sagte Line und schluckte. »Er soll angeblich damals angerufen und mit dir geredet haben, aber dann sei nichts mehr passiert.«
Am anderen Ende der Leitung wurde es still.
»Ich muss jetzt ins Abendmeeting«, sagte Line. »Aber irgendwer wird dich noch anrufen und um eine Stellungnahme bitten. Du solltest dir genau überlegen, was du sagst.«
Wisting schwieg weiter.
Line ließ den Blick auf dem Bildschirm ruhen. Das Foto ihres Vaters nahm fast den ganzen Platz ein. Sie hatten ein Bild gewählt, das ihn in dieser Talkshow vor fast einem Jahr zeigte. Die Studiokulissen waren leicht wiederzuerkennen und betonten auf subtile Weise, dass es sich um einen bekannten Ermittler handelte, dem nun ein Gesetzesbruch vorgeworfen wurde.
Auf dem Bild war sein dichtes schwarzes Haar leicht in Unordnung geraten. Ein verkniffenes Lächeln spielte um seinen Mund und die Falten in seinem Gesicht verrieten, dass er schon einiges erlebt hatte. Seine dunklen Augen blickten bedächtig in die Kamera. In der Fernsehsendung war er als rechtschaffener und erfahrener Polizist aufgetreten, aber auch als fürsorglicher und rücksichtsvoller Ermittler mit einem ausgeprägten Sinn für gesellschaftliches Engagement. Morgen würde ihn die Bildunterschrift in den Augen der Leser völlig anders erscheinen lassen. Sein Blick könnte als kalt, sein verkniffenes Lächeln als falsch aufgefasst werden. Die Macht der Medien würde zu Ohnmacht führen.
»Line?«
Sie hielt den Hörer dichter ans Ohr.
»Ja?«
»Das ist alles nicht wahr. Nichts von dem, was sie sagen, ist wahr.«
»Ich weiß, Papa. Das brauchst du mir nicht zu sagen, aber ungeachtet dessen wird es morgen in der Zeitung stehen.«
3
In den Redaktionsräumen hatte sich abendliche Stille ausgebreitet. Die Meldungen der ausländischen Nachrichtenkanäle huschten über die stummen Fernsehbildschirme, nur unterbrochen von einzelnen, leise geführten Telefonaten und dem Geräusch geübter Finger, die über Tastaturen flogen.
Line wollte sich gerade aus dem Computer ausloggen, als der Redaktionsleiter vom Abendmeeting zurückkam. Er hieß Joakim Frost, wurde aber von allen nur Frosten genannt.
Er blickte über die Redaktionsräume, bevor er zu ihr herüberkam. Sein Blick war kalt, so als würde er durch sie hindurchsehen. Es wurde gemunkelt, dass er seine Stellung als Redaktionsleiter gerade deswegen bekommen hätte, weil er außerstande war, die menschlichen Tragödien hinter den Schlagzeilen zu sehen. Sein Mangel an Empathie hatte ihm mit anderen Worten also die passende Qualifikation verschafft.
»Tut mir leid«, sagte er und schien offenbar davon auszugehen, dass sie den vorbereiteten
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