Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Brief der Tochter aus Prag 1938 nahmen Geheimrat Köster und seine Frau sich die Mühe, Gift zu nehmen, beide in hohen Jahren. Zwei sehr kleine Särge, von der Gestapo heimlich verbrannt.
Noch einmal: ALEXANDER PAEPCKE .
Alex. Der C. unverzüglich die Freundschaft anbot, als er sich nur in die Verwandtschaft hätte fügen müssen. Einer von den großmächtigen PAEPCKES aus Schwerin. In der Familie habe es einen Bankier gegeben, auch Abgeordnete zum Deutschen Reichstag vor dem Ersten Krieg. Die Paepckes gingen zu Hofe bei ihrem Großherzog. Unverhofft war die Familie mit ihrem Alexander, Jahrgang 1898, an einem Ende. Zwar hatte er eine Schwester, jünger als er, aber sie würde den Namen nur unverehelicht retten können, also nicht lange genug. Die Familie war von der Art, daß Inge Paepcke bei einem Besuch der Kaiserin in Schwerin hatte Gereimtes aufsagen dürfen. Die Kaiserin hatte ihr daraufhin eine Brosche überreichen lassen, nicht eben die kostbarste Arbeit des Königlichen Hof-Juweliers H. J. Wilm zu Berlin, aber richtig mit einem blauen A für Auguste und einem mit Glitzerdingen ausgelegten V für Viktoria. Der Familienrat beschloß, daß Inge das Arbeitsentgelt zwar aufbewahren dürfe. Sobald jedoch Alexander eine Tochter habe, sei die Brosche der zu übergeben, und so fort durch die Generationen. Alexander hatte noch nicht einmal eine Frau, von Kindern auch zu schweigen. Die Paepckes ließen ihrem Alexander Zeit, sich umzusehen nach einer Richtigen. Alexander hielt aber bereits das Studieren für das bürgerliche Leben selbst, ließ sich Zeit damit und bezahlte so manchem hübschen Ding am Theater von Schwerin einen Schmuck oder eine Robe. Es gelang der Familie von Mal zu Mal, ihm solche Heiraten auszureden; seine Bedingung war das Begleichen der Schulden. (Gegen Alexanders Mutter und Schwester, bei denen das Geld weniger reichlich liegengeblieben war, betrug der Familienrat sich eher gleichmütig.) Im Sommer 1928 besuchte Alexander seine Tante Françoise im Ostseebad Graal Müritz und konnte nicht ertragen, daß ein weißrussischer Emigrant mit gräflichen Würden sich bemühte um ein Mädchen namens HILDE PAPENBROCK . Alexanders Großonkel nahm sich die Mühe eines heimlichen Besuchs in Graal, und schon von Rostock aus telegrafierte er ins Hotel Strandperle: SOFORT HEIRATEN . Die Familie war so vergnügt mit Hilde, sie ließ sich ein auf eine Hochzeit in Jerichow statt in Schwerin, nicht mehr als acht Wochen danach. Auch die Paepckes wollten sich mit den Papenbrocks abfinden, wenn sie von denen nur ein Mädchen bekamen. Damit begannen Hildes große Ferien von den Eltern, ein Leben mit Reisen nach Berlin, Ausflügen von Gut zu Gut in der Gegend von Krakow, ausführlichen Festen in den Hotels am See. Einmal vergaß Alexander, eine Verlegenheit rechtzeitig nach Schwerin zu melden, und er konnte einem Mandanten nicht gleich den Prozeßvorschuß auszahlen, der wegen Vergleichs fällig geworden war. Der Mandant war ein Großgrundbesitzer und gab sich mit einer verspäteten Zahlung nicht zufrieden. Alex wurde durch eine Saumseligkeit seiner Kumpane in der Burschenschaft Leonia wahrhaftig aus der Anwaltskammer von Mecklenburg ausgeschlossen und begnügte sich hinfort mit dem Pachten von Ziegeleien. (Oder war es das Notariat gewesen?) Hilde konnte nicht sehen, daß Alexander in Verlegenheit war, und zündete solche Ziegelei ohne Bedenken an, und das erste Mal wollte die Versicherung noch an eine Selbstentzündung glauben. 1931 hatte Papenbrock seine Hilde nach Jerichow geholt und ihren Alexander in die Ziegeleipacht gesetzt; unter der besorgten Aufsicht des alten Papenbrock geriet Alexander in die roten Zahlen, unmittelbar neben dem Neubau eines Militärflugplatzes, der Ziegel unersättlich verschlang. Alexander verzog sich in die Heeresintendantur Stettin, aber für die Paepckes hatte er gutgetan. Alexandra kam 1934 auf die Welt, und der Familienrat reiste in Jerichow an, eine Kaiserinnenbrosche zu übergeben, reiste an zur Geburt von Eberhardt 1935, reiste zur Geburt von Christine Paepcke nach Podejuch, und fast jedes Mal konnten die Taufgeschenke Alexanders »Verpflichtungen« ausgleichen. Ihm, Cresspahl, sei nicht angst geworden bei Alexanders und Hildes Achtlosigkeit gegen die Ordnungen; es sei vorgekommen, daß er seine Unfähigkeit dazu bedauerte. Und solche Kindheit wie die bei den Paepckes, er hätte es seinem eigenen Kind wohl gegönnt, habe das auch aufgeschrieben. Ganz selten habe er sich bei
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