Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Papenbrock die gesellschaftliche Ächtung vom südlichen Ende der Müritz bis zum nördlichen wohl habe ertragen wollen. Nur sei er bei etwas anderem erwischt worden, nämlich bei sparsamerer Drainage des Gutes als der Vertrag vorsah. Der Verpächter wäre vor Gericht nicht schwächer gewesen als sein Partner im Profit, und als Papenbrock in unbegreiflicher Zerstreutheit obendrein vergaß, seinem neuen Gebot auf eine Pacht jenen diskreten Tausendmarkschein beizufügen, habe er in die Inflation umsteigen müssen. Die Schiebungen mit Devisen und Sachwerten hätten 1923 bequem gereicht für das von Lassewitzsche Stadthaus in Jerichow, die Düngemittelhandlung von E. P. F. Prange, die Schwennsche Bäckerei und den festen Griff in der Vermarktung allen Weizens und aller Zuckerrüben, die um Jerichow aus der Erde wuchsen. Er sei die Bank in Person gewesen. Die Verwandlung in den Handelskapitalisten sei ihm bis in die eigene Person hinein gelungen; so habe er fast aus Instinkt gegen die Fürstenabfindung gestimmt, allerdings heimlich. König von Jerichow sei er gewesen bis 1936, als die Nazis seine Geschäfte in ihren Vierjahresplan einsperrten. Zwar saßen seine Genossen von der Deutschnationalen Volkspartei noch in den schweriner Ministerien, nur eben tiefer. Die Einbuße an Macht und die Angst vor dem Ausgang des Krieges habe ihn zahm gemacht; inzwischen könne Cresspahl Papenbrock sogar nachsehen, daß er der alten Cresspahl den Vornamen Grete statt den richtigen in die Todesanzeige gesetzt hatte, unachtsam, nur um die Geltung der Papenbrocks auch noch bei dieser Gelegenheit auszuhängen. Dennoch sei es schwer vorstellbar, daß ein solcher Mensch der Großvater von Gesine Cresspahl sei, ja daß sie mit solcher Familie zusammengehöre.
Woher Cresspahl solche Ausdrücke kenne, die doch eben erst in der Neuen Schule gelehrt würden: Agrarkapitalist.
Er sei einmal Mitglied der Sozialdemokratischen Partei gewesen.
LOUISE PAPENBROCK .
Eine geborene Utecht. Geboren 1871. Nicht oft eingeladen bei den Festen der Offiziere in Güstrow. Als dann der große Papenbrock ihr Erbe benötigte, habe sie nahezu froh sein müssen. Er bekam in allem seinen Willen, und sie habe erst nach der Hochzeit angefangen, sich in der Religion zu verstecken. Robert Papenbrock, geboren 1895. Horst Papenbrock, 1900. Hilde, 1904. Lisbeth, 1906. An der Jüngsten habe Louise die Gottesfurcht durchsetzen können, die die beiden Jungen abschüttelten und vor der Hilde durch das Leben mit Alexander Paepcke gerettet wurde. Sie habe Lisbeth damit geplagt, wie ein kranker Mensch ein Tier quäle. Für ihn, Cresspahl, komme das einem Mordversuch gleich. Louise habe sich mit einem Ehebruch eben nicht trösten können. Papenbrock fuhr zu großmächtigen Geschäften nach Hamburg und vergnügte sich doch in der Herbertstraße; Louise hielt sich dafür einen Predigeramtskandidaten als geistlichen Beistand. Wohl brachte der Alte ihr Pelzmäntel mit aus Berlin, aber sie paßten nicht immer, und ein klein wenig getragen fühlten sie sich an; Louise durfte dennoch nicht mit ihrem Mann in die Reichshauptstadt. Also war sie nicht eben anstellig, als sie dorthin reisen mußte mit der Tochter eines Lehrers aus Waren, die schwanger war von Louises Röbbing, dem guten Jung’. Eine Abtreibung habe sich also vertragen mit ihrem christlichen Gewissen. Mit dem Pelzmantel nach Anprobe wurde es auch dies Mal nichts. Inzwischen war sie mit den geschäftlichen Erfolgen Papenbrocks zufrieden und genoß es allmählich, das Erworbene zusammenzuhalten, insbesondere als sie während des Krieges von 1914 bis 1918 fast gänzlich die Alleinherrschaft über Wirtschaft und Gesinde hatte. So habe sie einmal die Küchenmädchen dabei ertappt, als die das Mittagsbrot für die Knechte recht kräftig herrichteten, mit echtem Speck und der herrschaftlichen Räucherwurst. Fortan mußte die Mamsell die Stullen schmieren, unter der Aufsicht Louises, und »der Frau« fiel noch ein, daß sie den Kaffee verdünnen könne. In der Getreideernte. Sie gab Papenbrocks Schläge nach unten weiter. Als er König von Jerichow wurde, war sie überfordert. Zwar verlangte Papenbrock, daß sie in der kleinen Stadt die Macht und die Herrlichkeit darstellte; nie war sie sicher, ob er sie nicht doch zurückpfiff. Mit dem Schlagen hörte er um 1933 auf, als er die erste Angst vor den Nazis bekam, seines Besitzes wegen. Dafür bat im Sommer 1936 eine Frau aus der Gegend von Waren um eine Audienz bei den Papenbrocks, und
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