Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
alt, das Mädchen wünschte auch solche, die Mutter sagte so oft: But they don’t last, child! Aber sie halten sich nicht! Da hab ich vor der Tür auf das Mädchen gewartet und ihr sechs abgegeben. Gesine, bist du einverstanden? Talk to me! Sprich mit mir!
– Einverstanden, Marie. Warum überhaupt Blumen?
– Heute hat doch Karsch Geburtstag. Nehmen sie dir denn auch das Gedächtnis heraus in der Bank? Heute hat Karsch Geburtstag!
In der Post aus Europa beruft jemand sich auf Bekanntschaft mit Mrs. Cresspahl und will das schriftlich haben, zu einem Jubelfeste. Auf Bestellung.
21. Juni, 1968 Freitag
Gestern begannen von Amts wegen die Manöver der Sowjets, Ungarn, Ostdeutschen und Polen mit den Tschechoslowaken auf deren Boden. Nach Auskunft von Ivan I. Yakubovsky, Marschall der Sowjetunion, sind nur Kommandostäbe, Signal-, Transport- und Hilfstruppen beteiligt. Über die Dauer ist nichts gesagt.
– Marie, was benötigt man für öffentliche Wahlen?
– Gewählt haben sie auch noch in Mecklenburg? Konnten sie nicht nehmen, was da war?
– Wenn es denn einmal sein soll, Marie. Was nimmt man da.
– Parteien hattet ihr schon, erstens. Zweitens, die Leute in Parteien müssen Leute einladen, die nicht in den Parteien sind. Denen müssen sie etwas versprechen, entweder mehr oder was anderes als die anderen Parteien. Eine Partei, die nicht an der Macht ist, muß dazu ebenso eine Erlaubnis haben wie die Partei, die an der Macht ist. Weil die Parteien nicht alle Leute einladen können, die nicht in Parteien sind, müssen sie auf den Rest einreden mit Zeitungen, Flugzetteln, Plakaten. Wenn es endlich ans Wählen geht, brauchen sie drittens Schiedsrichter. Die kümmern sich nur um die Regeln, als da sind Freiwilligkeit, Geheimhaltung und genaue Auszählung; die Parteien aber sind ihnen schnurz. Dann brauchst du noch Leute, die es nicht satt haben und überhaupt wählen wollen. Da weiß ich ein paar, die wollten sich gar nichts mehr aussuchen.
– Es waren aber die Grenzen zu seit dem 30. Juni 1946. Das hatten die Sowjets zwar zu eigenen Gunsten eingerichtet, jedoch im Kontrollrat mit den westlichen Alliierten zusammen. Auch nach deren Willen sollte einer in Mecklenburg bleiben, wenn er einmal da war, da bereit sein für die Forderung des täglichen Tags. Für den 15. September standen Gemeindewahlen im mecklenburgischen Kalender. Mine Köpcke hätte nicht einmal in einem Letzten Willen angeben können, was sie in der Hand hatte, es sei denn Duvenspecks weichen Hals; auch die sagte, dennoch: Warum sollen wir die Macht aus der Hand geben?
– Wer gewinnt, weiß ich. Das wird langweilig.
– Für den Wahlkampfleiter der S. E. D. im Landkreis Gneez war es nicht langweilig. Unheimlich war ihm. Oft in den Wochen vor der Wahl bekam er ein Gefühl, als stünde Einer hinter ihm, im Dunkeln. Er konnte nicht herausfinden, was es war. Die Sache lief für ihn und seine Freunde prächtig, er würde sagen: schnuckelig geht das! Er war kein Dummkopf, er hatte was gelernt aus den hessischen Gemeindewahlen vom Januar, als die S. P. D. achtmal soviel Stimmen bekam wie die eigene Partei; der Landkreis Gneez war einer der ersten, in dem die Sozialdemokraten ihre eigene Partei aufgaben und mit ihm in eine neue gingen, am Ende hatte auch der Zentralvorstand begreifen müssen und der von unten aufsteigenden Vereinigung gehorchen. Den Mund hatte er sich fusselig geredet! Was hatte er den Sozis nicht alles versprechen müssen: Sauberkeit bei Prozeduren der Geschäftsordnung, wonach die jieperten in einer unheimlichen Art; daß nicht jedes Wort von Lenin in deutsche Verhältnisse eingebaut würde; grundsätzlich den besonderen deutschen Weg, den demokratischen, wenn auch nur so lange, wie die kapitalistische Klasse den Boden der Demokratie nicht verläßt, dann leider revolutionär, was die Sozis für einen Gegensatz ansahen; alles versprochen, besiegelt mit Protokoll. Das kam ihm eher zupaß; er hielt es mit den Genossen von Kröpelin, die den Beschluß über die Vereinigung noch hatten unterzeichnen lassen vom Ersten wie dem Zweiten Bürgermeister und schließlich vom Chef der Polizei. Lade hieß der. Kröpelin nannten sie die Schausterstadt. Oh, er lernte gewiß. So war er auf Sozialdemokraten gestoßen, die beriefen nur auf Befehl des sowjetischen Ortskommandanten eine gemeinsame Sitzung mit ihm ein. Manche begriffen erst, wenn ihnen vorsorglich der Rücktritt befohlen wurde. Oft jedoch waren es gesellige Abende gewesen,
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