Jan Fabel 04 - Carneval
hervor. Er befahl einem der Schutzpolizisten, Fabel und ihn zu begleiten. Dann sprinteten sie hinter dem Maskierten her, bogen um die Südseite des Domes und waren plötzlich allein. Der Jubel der Menschen war immer noch laut, schien jedoch in ein anderes Universum zu gehören. Nach Atem ringend blieben sie stehen.
»Er kann nicht hinten herumgelaufen sein«, sagte der Schutzpolizist. »Dazu hat die Zeit nicht gereicht.«
Fabel reckte den Hals, um an der ungeheuren Masse der Kathedrale hinaufzublicken. Eine Reihe mächtiger, spitz zulaufender Strebebögen flankierte das Hauptschiff des Domes wie eine Kompanie Soldaten. Auf Straßenhöhe entdeckte er eine Seitentür.
»Ist der Dom heute geöffnet?«, fragte er.
»Nicht für das allgemeine Publikum«, erwiderte Scholz. »Aber später findet eine besondere Fastenpredigt statt. Darauf bereitet man sich jetzt wahrscheinlich vor.«
»Er ist dort drin«, versicherte Fabel. »Der Dom ist wie eine Kreuzung. Er versucht, uns abzuschütteln und an der anderen Seite rauszukommen. Weiter!«
Die schwere Tür gab nach und schloss sich dann hallend hinter ihnen. Ein Mann lag auf den Fliesen unmittelbar hinter der Tür. Seine weißen Haare waren zerzaust, und an der einen Schläfe sah man eine blutige Schramme.
Scholz beugte sich über den bejahrten Wachmann. »Sind Sie bei Bewusstsein?«
»Ich … ich habe versucht, ihn aufzuhalten. Habe ihm gesagt, dass der Dom geschlossen ist. Er hat mich geschlagen …«
»Du bleibst bei ihm«, befahl Scholz dem Schutzpolizisten. »Nimm mit der Zentrale Verbindung auf. An jedem Domportal sollen Männer postiert werden. Jan, du kommst mit mir. Wahrscheinlich ist er einer von Witrenkos Ködern, aber wir sollten jede Chance nutzen.«
Fabel zog die Automatik aus dem Halfter, die Scholz ihm vor dem Treffen mit Witrenko ausgehändigt hatte. Sie schritten durch den Mittelgang, vorbei an dem Fenster, vor dem sich Fabel mit einem mexikanischen Schriftsteller über Nashörner unterhalten hatte. »Dieses Gebäude ist so groß wie ein Fußballstadion«, sagte er. »Der Drecksack könnte sonst wo sein.«
»Nimm dir die Bänke auf der linken Seite vor. Ich kümmere mich um die auf der rechten.«
Die Karnevalsgeräusche waren nun noch ferner. Die beiden Männer arbeiteten sich durch den Gang vor und erreichten das Querschiff. Fabel blickte durch den Retrochor hinüber zum Dreikönigsschrein, einem gewaltigen goldenen Reliquiar, das hinter seiner Glasscheibe funkelte. Links war ein Laut zu hören.
»Da drüben, hinter dem Schirm«, zischte er Scholz zu und riss seine Waffe herum.
Scholz legte eine Hand auf Fabels Arm, um ihn zu bremsen.
»Um Himmels willen, schieß bloß nicht. Der Schirm , wie du ihn nennst, ist der Klaren-Altar. Er ist unbezahlbar.«
»Genau wie mein Leben.« Fabel nickte an dem Triptychon vorbei. »Geh dort rüber.«
Er richtete seine Waffe weiterhin auf den Schirm und bewegte sich mit langsamen Schritten darauf zu. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass Scholz in Position war, hastete er zum Rand des Schirms. Etwas schmetterte gegen ihn, und er stürzte zur Seite. Seine Automatik klapperte über die Fliesen, und kalter Stahl wurde an seine Wange gepresst. Er blickte in eine goldene Maske.
»Warum stehen Sie nicht auf und lassen die Scheißpistole fallen?«, verlangte Scholz mit ruhiger, doch entschiedener Stimme. »Oder Sie haben gleich eine Kugel im Kopf.«
»Lassen Sie mich gehen, oder ich bringe ihn um«, rief der Maskierte. »Es ist mir ernst.«
»Dann sterben Sie selbst auch«, warnte Scholz. »Und wir haben alle Pech gehabt, Herr Witrenko.«
Plötzlich ließ der Druck der Automatik an Fabels Wange nach, und der Mann legte die Pistole auf die Steinplatten. Dann sprang er auf und nahm die Maske ab. Er war dunkelhaarig und jünger, als Witrenko hätte sein können.
»Das ist er nicht«, erklärte Fabel.
»Bist du sicher?«, fragte Scholz.
Fabel erhob sich mühsam, griff nach seiner Automatik und stellte sich neben Scholz, um die Pistole ebenfalls auf den Mann zu richten.
»Sie haben recht, Herr Fabel. Ich bin nicht Witrenko. Der ist längst über alle Berge. Es war doch klar, dass er nicht in die Falle tappen würde.«
»Und wer sind Sie?«
»Pilip Gnatenko. Für Sie ein Niemand.«
»Ein Niemand, der bereit ist, zu sterben oder sich einsperren zu lassen, um ein paar Fluchtminuten für seinen Chef herauszuholen?«
»Wenn es nötig ist. Sie kennen unseren Kodex immer noch nicht, Herr Fabel.«
»Treten Sie aus
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