Jan Fabel 04 - Carneval
dem Schatten hervor. Ich will mir Ihr Gesicht genau angucken.«
Hinter ihnen ertönte ein Geräusch, und Fabel drehte sich um.
»Maria?«, fragte er verständnislos. Maria trug schäbige schwarze Kleidung und wirkte schrecklich mager. Ihr Gesicht war abgehärmt und blass. Fast grau. Über ihre Stirn zog sich eine hässliche, geschwollene Schramme. Ihr blondes Haar war kurz geschnitten und schwarz gefärbt worden, genau wie der Hotelgeschäftsführer ausgesagt hatte. Sie richtete zwei Pistolen auf den Ukrainer, und Scholz zielte nun auf sie.
»In Ordnung! In Ordnung!«, rief Fabel. »Das ist Maria Klee, meine Kollegin aus Hamburg.«
»Wenn es euch nicht zu viel ausmacht, könntet ihr mir vielleicht verraten, was hier vorgeht, verflucht noch mal?«
»Das ist er«, sagte Maria. »Das hier ist der Satan.«
»Wir wissen nicht, ob es Witrenko ist«, widersprach Scholz. »Er behauptet, einer der Handlanger zu sein. Ich finde, Sie sollten mir die Pistolen geben, Frau Klee.«
»Seine Augen, Jan. Die konnte er nicht ändern.«
»Kommen Sie aus dem Schatten. Sofort! « Fabel folgte der Gestalt mit seiner Waffe.
Der Mann trat lächelnd ins Helle. Er war zu jung, zu dunkel, aber sobald die smaragdgrünen Augen in dem Licht glänzten, das durch die hohen Fenster fiel, wusste Fabel genau, dass es kein anderer als Witrenko sein konnte.
»Ich dachte, mein neues Gesicht würde Sie täuschen, aber leider kennt Frau Klee es schon.«
»Er hat behauptet, ein Ukrainer namens Taras Buslenko zu sein.«
»Der Polizist, der ihn aufspüren sollte?«
Maria nickte.
Witrenko legte sich die Hände auf den Kopf. »Ich bin Ihr Gefangener. Keine Tricks.«
»Sie geben so leicht auf?«, staunte Fabel. »Das kann ich nicht glauben.«
»Uns allen bieten sich viele Fluchtmöglichkeiten«, erwiderte Witrenko. »Wie Frau Klee schon festgestellt hat. Wir haben die Überreste der Wächter gefunden, Maria. Arme Olga. Manchmal beißen bellende Hunde eben doch. Aber wie gesagt, wir haben sehr viele Fluchtmöglichkeiten. Und ich weiß, dass Ihr Bundeskriminalamt mit mir verhandeln wird, um Informationen zu erhalten. Schließlich hat es schon einiges von mir erfahren.«
»Ich weiß«, bestätigte Fabel. »Die Akte, die Sie mir abgenommen haben, bestand aus leeren Seiten. Aber Sie wussten, dass ich sie Ihnen nicht überlasse, oder? Sie brauchten gar nicht erst nachzusehen.«
»Darf ich meine frühere Frage wiederholen?« Scholz, dessen Pistole wieder auf Witrenko gerichtet war, runzelte erbittert die Stirn. »Könnte mir mal jemand verraten, was hier vorgeht?«
»Das sogenannte Witrenko-Dossier ist nichts als dummes Zeug. Der angebliche Maulwurf innerhalb der Organisation war Witrenko selbst. Er hat Falschinformationen geliefert. Ein paar zutreffende Details, und alles Übrige war Quatsch. Er hat nur vorgetäuscht, dass er es unbedingt in die Hand bekommen wollte, um das BKA von seiner Echtheit zu überzeugen.«
»Buslenko ist wegen einer Lüge gestorben?« Die Frage blieb Maria fast im Hals stecken. »Alles, was du mir angetan hast – war nur ein Täuschungsmanöver?«
Witrenko hob die Schultern. »Was soll’s? Ich habe mich vom Karnevalsgeist mitreißen lassen. Aber die Lüge, für die Buslenko gestorben ist, war eine andere: nämlich die, dass es sich lohnt, sein Leben für die Ukraine zu opfern. Ein Patriot. Ein Narr. Würden Sie mir nun bitte Handschellen anlegen, Herr Fabel, und mich in eine Zelle bringen. Alles steht im Witrenko-Dossier … Ach nein, das war eine Fälschung. Wie lange Sie mich wohl festhalten können …«
»Da ist die Ermordung der Polizisten in Cuxhaven. Der Mordversuch an Maria. Der Containerlastwagen mit der menschlichen Fracht, die Sie haben verbrennen lassen. Ich glaube, wir werden schon etwas finden.«
»Und ich glaube, meine Anwälte und ihre medizinischen Experten werden eine Menge über Frau Klees psychologische Verlässlichkeit als Zeugin zu sagen haben.« Witrenko grinste. »Sehen Sie, Herr Fabel, ich komme wieder davon. Genau wie beim letzten Mal. Nur auf einem anderen Weg.«
»Nein …« Marias Stimme war düster. »Nicht wie beim letzten Mal.«
Fabel und Scholz hatten keine Zeit zu reagieren. Maria feuerte mit beiden Pistolen und drückte auf die Abzüge, bis die Magazine leer waren. Die Schüsse trafen Witrenko in die Brust und in den Bauch, und er taumelte rückwärts an die Wand. Seine smaragdgrünen Augen wurden trübe, er rutschte an den Steinen nach unten und hinterließ eine Blutspur. Marias
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