Jan Fabel 04 - Carneval
ausgerichtet neben das Fleisch.
Ansgar trank einen Schluck Gaffel und betrachtete sein Mahl. Der erste Bissen Fleisch zerging ihm auf der Zunge. Währenddessen dachte er wieder an die Ukrainerin, die mit ihm in der Restaurantküche arbeitete: Jekaterina. Er runzelte die Stirn und versuchte, sie aus seiner Vorstellung zu verbannen. Ein weiterer Bissen. Seine Zähne gruben sich in das nachgiebige Fleisch, und das Mädchen kehrte in seine Gedanken zurück. Ihre blasse junge Haut zog sich straff über ihre üppigen Kurven. Sogar im Winter stieg die Temperatur in der Küche durch die Hitze, die von den Herden ausstrahlte. Jekaterinas blasse Haut rötete sich dann und wurde nass vor Schweiß, als werde sie selbst langsam gekocht. Erneut bemühte er sich, sich auf sein Essen zu konzentrieren, doch bei jedem Bissen dachte er an ihr Gesäß. Ihre Brüste. Ihre Brustwarzen. Ihren Mund. Vor allem an ihren Mund. Ansgar aß weiter. Unwillig registrierte er das Prickeln zwischen seinen Beinen, den Druck gegen den Hosenstoff. Er trank einen zweiten Schluck Bier und unternahm den Versuch, sich zu sammeln. Nun aß er etwas Spargel und rückte die Gewürzgarnitur gerade. Ein weiterer Bissen. Er wurde härter und spürte Schweiß auf seiner Oberlippe. Erneut dachte er an ihr helles Fleisch, das sich an ihrem schwarzen T-Shirt rieb. Wieder an die Wölbung ihrer Brüste. Wieder an ihren Mund.
Sein Gesicht war jetzt von einem Schweißfilm bedeckt. Wieder und wieder kämpfte er gegen die Bilder an, die sich ihm aufdrängten. Jene verdrehten, köstlichen Bilder, voll von dem Chaos, das er aus seinem Leben verjagt hatte. Jene süßen, kranken, perversen Fantasien, die er sich nicht mehr gestatten wollte. Und sie war ein Teil davon, stets ein Teil der Szenen, in denen zartes, saftiges Fleisch und zubeißende Zähne die Hauptrolle spielten. Er kaute auf seinem Filet und war nicht fähig, es hinunterzuschlucken. Ansgar Hoeffer dachte an das sinnliche Gefühl des Essens in seinem Mund und wieder an das Mädchen im Restaurant. Ein Schauer überlief ihn, als er in seine Hose ejakulierte.
3.
Fabel brauchte vier Stunden, um die Bürokratie des Todes zu bewältigen – all die Formulare und Auswertungen, die Aichingers sinnlose Handlungen eine offizielle Form gaben. Wie viele Male in seiner Laufbahn war Fabel mitten in eine menschliche Tragödie geraten und von ihrer heftigen emotionalen Hitze verbrannt worden, um dann an ihrer Umwandlung in kalte, sterile statistische Daten mitzuwirken. Aber er würde Aichingers letzte, traurige Dankesworte nie vergessen und wohl auch nie verstehen.
Er saß im dritten Stock des Hamburger Polizeipräsidiums im Gemeinschaftsbüro der Mordkommission auf der Tischkante und trank Kaffee aus einem Pappbecher. Werner Meyer, Anna Wolff und Henk Hermann waren ebenfalls da: das Team, das er fünfzehn Jahre geleitet hatte und nun bald verlassen würde. Nur Maria Klee fehlte. Sie war seit anderthalb Monaten auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. – Fabel war keineswegs der Einzige, den die letzten drei großen Fälle in Mitleidenschaft gezogen hatten.
Er seufzte müde und schaute auf seine Uhr. Ihm blieb nichts anderes übrig, als noch zu warten, weil sein Vorgesetzter, Kriminaldirektor Horst van Heiden, ihn zu einem Gespräch gebeten hatte, sobald die Formulare ausgefüllt und die Fragen der internen Revision beantwortet waren.
»Wirklich, Chef …« Oberkommissar Werner Meyer, ein untersetzter Mann in den Fünfzigern mit einem grauen Stoppelhaarschnitt, hob seinen Kaffeebecher, als handelte es sich um ein Glas Champagner. »Ich muss zugeben, dass du dich in großem Stil verabschiedest.«
Fabel schwieg. Die Bilder, die ihn in Aichingers Wohnzimmer erwartet hatten, zogen weiterhin durch seinen Kopf, genau wie die damit verbundenen Gefühle. Die Furcht und die Hoffnung, die in ihm aufgeblitzt waren und seine Brust zusammengeschnürt hatten, während er durch den kurzen Wohnungsflur rannte.
»Das hast du gut gemacht, Chef«, meinte Anna Wolff. Fabel lächelte sie an. Anna sah immer noch nicht aus wie eine Kriminalkommissarin der Mordkommission. Sie war klein und hübsch und wirkte jünger als ihre neunundzwanzig Jahre. Ihr dunkles Haar, dessen Spitzen abstanden, war kurz, und sie hatte tiefrote, volle Lippen.
»Tatsächlich?«, meinte Fabel freudlos. »Ich habe einen geistig labilen Mann nicht entwaffnen können, bevor er sich das Gehirn rausgepustet hat.«
»Du hast einen verloren«, sagte Werner. »Einen, der schon
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