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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Leidenschaft, die alle erfasst hat.
    Lus Hand löst sich von meiner, damit er seinen Arm um meine Taille legen kann. Ich drücke mich an ihn, oder vielleicht zieht er mich auch nur enger an sich, und irgendwann stehen wir nicht mehr nebeneinander, sondern einander gegenüber. Ich lege die Arme um seinen Hals und pfeife auf das, was die Leute davon halten mögen. Wahrscheinlich denkt sich an einem Tag wie diesem sowieso keiner irgendetwas dabei, wenn die Jugend ein bisschen über die Stränge schlägt.
    Nun, aus so großer Nähe, sehe ich, dass die vermeintliche » Kriegsbemalung « zum größten Teil aus blauen Flecken und Wunden besteht, die mit roter Jodsalbe behandelt wurden.
    Â» Meine Güte, Lu! Du gehörst in ein Krankenhaus. «
    Â» Die beste Medizin für mich bist du. «
    Er beugt sich zu mir hinab und wir geben uns einen zarten Kuss. Seine Lippen sind verletzt, sodass sich unsere Münder nur zögernd und mit äußerster Vorsicht berühren.
    Er rückt kurz von mir ab. » Warte kurz. Ich habe noch etwas für dich. «
    Damit greift er in eine Hosentasche und fordert mich auf, die Augen zu schließen. Ich merke, wie er an meinen Ohren herumfummelt, er scheint mir Ohrringe anklemmen zu wollen. Ich bin gerührt. Zwar ist mir der Verlust des Erbschmucks inzwischen ziemlich egal, aber dass Lu durch diese Geste seine Schuld wiedergutzumachen versucht, finde ich sehr anständig von ihm.
    Â» So « , sagt er, als er fertig ist.
    Â» Danke, Lu, aber das wäre doch nicht nötig gewesen. « Ich taste an dem Schmuck herum und die Form kommt mir merkwürdig bekannt vor.
    Â» Ist es das, wofür ich es halte? « , frage ich.
    Er nickt. » Ich finde, eine so schöne Prinzessin muss auch richtig prachtvoll geschmückt sein. Und was könnte schöner zu diesen herrlichen grünen Augen passen als Smaragde? «
    Â» Aber… du hast sie also nicht verkauft? «
    Er hebt die Augenbrauen in dieser spöttischen Weise, die ich so an ihm liebe. Nein, natürlich hat er sie nicht verkauft, das ist ja wohl offensichtlich.
    Die bateria, die unermüdlich rund um die praça läuft und alle mit diesem Rhythmus ansteckt, der direkt in die Hüften geht, schlägt einen wilden Trommelwirbel. Es kommt mir vor, als würden sie ihn nur für uns schlagen.
    Mit feuchten Augen sehe ich zu Lu auf und dann gibt es kein Halten mehr. Wir küssen uns mit einer Hingabe, die sogar Alice zu einem überraschten » Oh, là, là! « hinreißt.
    Es ist Karneval. Heute darf ich mich amüsieren und die strengen Benimmregeln für junge Mädchen ausnahmsweise verletzen. Nicht, dass ich das in den vergangenen Wochen nicht andauernd getan hätte.
    Nur dass sich heute niemand darüber wundert, wenn ein Indio und eine orientalische Prinzessin mit funkelnden Smaragdohrringen in inniger Umarmung inmitten einer feiernden Menge stehen und in ihrem Kuss versinken.

34
    Heute ist Aschermittwoch, der Tag, an dem die Fastenzeit beginnt. In den vierzig Tagen, die zwischen jetzt und Ostern liegen, werden wir auf Fleisch sowie auf Alkohol verzichten, ansonsten beschränkt sich unser » Fasten « darauf, dass wir keine Bälle oder Galadiners besuchen. Für die katholische Oberschicht Brasiliens kommt die Fastenzeit zu einem sehr günstigen Zeitpunkt. Nach den vielen Veranstaltungen in Sommer sowie den Theaterpremieren, die ab Ostern gefeiert werden, hat in diesen paar Wochen ohnehin keiner richtig Lust auf Festivitäten. Man erholt sich von den Vergnügungen der vergangenen Monate und schöpft Kraft für die Amüsements der Wintersaison.
    Für mich persönlich, die ich lange genug unfreiwillig gefastet habe, ist der Verzicht auf Fleisch und Alkohol keine wirkliche Einschränkung. Ich schlage mir den Bauch mit feinem Blätterteiggebäck und Schokoladentorten voll, ich verschlinge mit größtem Appetit Fischterrinen und Gemüsepasteten, und Kakao und Milchkaffee schütte ich gleich literweise in mich hinein. Nicht einmal meine Mutter wagt es, etwas dagegen zu sagen: Ich bin so dünn geworden, dass alle froh über meine Exzesse bei Tisch sind.
    Seit drei Tagen bin ich wieder zu Hause auf Águas Calmas. Ebenfalls seit drei Tagen regnet es ununterbrochen. Diese Regenfälle sind typisch für die Jahreszeit, und obwohl ich weiß, dass es sich dabei um ein normales klimatisches Phänomen handelt, deute

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