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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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nach. Wenn ich noch ein wenig warte, bis auch die Leute, die den Umzug begleiten, auf den Platz strömen, könnte ich mich im Schutz des Durcheinanders vielleicht losreißen und fortlaufen. Aber nein, das wäre zu gefährlich: Der Schuft ist skrupellos genug, um mich vor aller Augen abzuknallen und sich anschließend seinen Weg freizuschießen. Es würde ihm nichts ausmachen, wenn ein Dutzend Unschuldiger dabei ums Leben käme, solange er entkommen könnte.
    Ich muss es jetzt sofort wagen. Der Zufall kommt mir zu Hilfe. Ein offensichtlich angetrunkener Mann, der als Harlekin verkleidet ist, stolpert und rempelt dabei Fernando an. Diesen winzigen Moment, in dem er abgelenkt ist, nutze ich. Ich reiße mich los und renne in Zickzacklinien über die praça, damit er, falls er auf meinen Rücken zielt, mit ein wenig Glück danebentrifft.
    Ich laufe direkt einem Paradiesvogel in die Arme. Die Person, die in ihrem bunten Federkostüm auf Anhieb weder als Mann noch als Frau zu erkennen ist, fängt mich auf. Eine mir bekannte Stimme sagt: » Du brauchst nicht mehr davonzulaufen. Wir haben ihn. «
    Ich sehe dem Paradiesvogel ins Gesicht und erkenne Aldemira.
    Â» Was…? «
    Â» Sieh doch nur « , sagt sie lächelnd und weist mit dem Arm in die Richtung, aus der ich gerade weggerannt bin.
    Ich begreife nicht sofort, was ich sehe. Ein Harlekin und ein Indio in Kriegsbemalung halten einen tobenden Gaucho an dessen hinter dem Rücken verschränkten Armen fest, eine weiße Sinhazinha– bei den armen Leuten hier scheinen unsere feinen Kleider ein Karnevalskostüm zu sein– steht daneben und hält den sich windenden Gaucho mit einer Pistole in Schach. Das Ganze ist dermaßen absurd, dass mich ein heftiger Lachkrampf schüttelt.
    Aldemira und ich nähern uns der Szene und mein Lachen ebbt nicht ab. Nun stehen auch noch eine orientalische Prinzessin und ein papageienartiges Wesen bei Harlekin, Indio, Gaucho und Sinhazinha. Wenn je ein Bild surreal war, dann dieses. Erst nach und nach begreife ich, was hier vor sich geht– und wer die Personen sind.
    Tränen der Erleichterung fluten meine Augen, als ich in dem Indio Lu erkenne. Ich falle ihm in die Arme, doch seine Reaktion darauf ist nur ein ersticktes Stöhnen. » Nicht so stürmisch, Bel. Ich habe gequetschte Rippen und haufenweise Blutergüsse. «
    Für eine ausführlichere Befragung bleibt mir keine Zeit, denn da kommt die Sinhazinha auf mich zu und umarmt mich. Es handelt sich gar nicht um eine Kostümierung, sondern um die normale Kleidung von… Alice!
    Â» Was, wie, ich meine… « , stottere ich verwirrt.
    Â» Dein Expressbrief kam heute Morgen an, ungefähr zur selben Zeit, als Aldemira mich zu sprechen wünschte. Wir haben sofort die Polizei verständigt, Lu aus dem Gefängnis geholt– wobei da das Eingreifen meines Vaters nötig war, die Bürokraten waren nämlich ohne Bestechungsgeld ein wenig schwerfällig– und sind hierhergeeilt. «
    Â» Keine Sekunde zu früh « , bemerke ich.
    Â» Und keine zu spät. Als Fernando die Pistole zog, hatte der Polizeibeamte, das ist der Harlekin, nicht nur einen deutlichen Beweis für dessen üble Absichten, sondern auch endlich eine Handhabe für seine Verhaftung. Er war nämlich ein wenig skeptisch, gelinde gesagt, als wir ihm diese abenteuerliche Geschichte aufgetischt haben. «
    Â» Oh, Alice! « , rufe ich unter Lachen und Tränen und umarme sie ein weiteres Mal.
    Â» Du hast mir eine Menge zu erzählen, denke ich. « Dann senkt sie die Stimme und sagt direkt in mein Ohr: » Vor allem über diesen Lu. Herrgott, Isabel, wo hast du diesen Indio-Gott aufgetrieben? Er sieht fantastisch aus! Und er scheint sogar unterhaltsam zu sein. «
    Â» Und klug. Und liebenswürdig. Und… «
    Â» Du bist in ihn verliebt « , stellt Alice fest.
    Ich fürchte, diese Schlussfolgerung dürfte nicht allzu schwierig gewesen sein.
    Â» Sergeant, nehmen Sie mir augenblicklich diese Handfesseln ab! « , tobt Fernando, dessen Hut heruntergefallen ist. Sein rotes Mundtuch hängt an seinem Kinn und scheint voller Speichelflecken zu sein. Wahrscheinlich hatte der Widerling vor Wut Schaum vorm Mund.
    Â» Sie wissen nicht, wen Sie hier vor sich haben! Ich werde mich beim Polizeipräsidenten über Sie beschweren, er ist ein guter Freund von mir. Es ist haltlos, absolut haltlos,

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