Jeans und große Klappe
erreichbarer Nähe und besuchen uns manchmal. Katja bezeichnete diese Verwandten denn auch einmal sehr treffend als Leute, die zum Essen kommen und keine Freunde sind.
Unsere Nachbarn sind sehr unterschiedlicher Natur. Links neben uns wohnen Herr und Frau Billinger, beide Schwaben, beide schon recht betagt und nach Saschas Meinung »so irgendwo zwischen fünfundsiebzig und scheintot« anzusiedeln. Trotzdem sind sie noch sehr rüstig. Besonders Frau Billinger wirkt jünger als sie vermutlich ist, was nicht zuletzt an ihren Hüten liegt. Sie hat eine wahre Leidenschaft für Hüte, von denen allerdings keiner ihre Liebe erwidert. Sie machen im Gegenteil immer den Eindruck, als seien sie auf ihrem Kopf notgelandet. Sonntags marschiert das Ehepaar Billinger gemeinsam zur Kirche, bewaffnet mit dunkelsamtenen Gesangbüchern, die für die Dauer des Transports sorgfältig in weiße Taschentücher eingeschlagen werden.
Nachdem sich Herr Billinger damit abgefunden hatte, auf die Ernte der beiden Johannisbeersträucher verzichten zu müssen, weil sie trotz mehrfacher Verbote regelmäßig von den Zwillingen geplündert wurden, herrschte Frieden zwischen unseren Häusern.
Nur einmal wurde er empfindlich gestört, als die Jungs von ihrem Biologielehrer die Aufgabe bekommen hatten, ein Referat über die Entwicklung von Fröschen zu halten. Das Studienmaterial besorgten sie sich aus dem Waldsee. Die Kaulquappen wurden in einer alten Zinkwanne untergebracht und hinten im Garten deponiert. Entgegen meiner Prophezeiung, daß wir vermutlich in wenigen Tagen ein Massengrab ausheben müßten, entwickelte sich das Viehzeug ganz vorschriftsmäßig, nur eben ein bißchen schneller, als von den Forschern berechnet. Eines Morgens waren sämtliche Kaulquappen verschwunden, und wo sie geblieben waren, konnten wir Frau Billingers Entsetzensschreien entnehmen. Der nachbarliche Kontakt kühlte vorübergehend etwas ab.
Reger Verkehr besteht zwischen uns und unseren rechten Anrainern. Dort wohnen Lebküchners. Er ist gebürtiger Bayer, sie stammt aus Köln, begegnet sind sie sich zum ersten Mal in der geographischen Mitte, nämlich in Mannheim.
Ich lernte Frau Lebküchner bereits am Tag nach unserem Einzug kennen, als sie von unserem Apparat aus die Störungsstelle anrufen wollte.
»Normalerweise wäre ich Ihnen nicht so schnell ins Haus gefallen«, entschuldigte sie sich, »aber ausgerechnet heute kann ich auf das Telefon unmöglich verzichten. Ich werde nämlich in Hamburg gerade Oma.«
Das hielt ich für völlig ausgeschlossen. Meine Besucherin konnte kaum älter sein als ich, trug sehr enge Jeans und dazu eine Bluse, die alles andere als großmütterlich aussah. Meinen Blick deutete sie richtig, denn sie meinte lachend: »Die blonden Haare täuschen, dafür sind sie ja auch nicht echt. Ich bin im Herbst fünfundvierzig geworden und habe somit das für Omas angemessene Alter erreicht.«
»Fühlt man sich nicht automatisch älter bei dem Gedanken, plötzlich ein Enkelkind zu haben?« Irgendwann würde mir das ja auch passieren.
»Nein, gar nicht«, sagte Frau Lebküchner, »deprimierend ist nur die Vorstellung, mit einem Großvater verheiratet zu sein.«
Inzwischen hat sie drei Enkel und ist die idealste Großmutter, die man sich denken kann.
Saschas Sympathie erwarb sie sich, als sie ihn schimpfend aus ihrem Apfelbaum scheuchte, wobei sie sorgfältig darauf achtete, daß dem Räuber noch genügend Zeit zur Flucht blieb. Später entschuldigte ich mich bei ihr.
»Glauben Sie denn, wir könnten die ganzen Äpfel alleine essen? Sollen die Kinder doch ruhig welche pflücken. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, daß solche Raubzüge doch nur Spaß machen, wenn man dabei erwischt wird. Geklaute Äpfel schmecken nun mal besser als gekaufte.«
»Die ist in Ordnung!« stellte Sascha fest und instruierte seine Trabanten, daß Frau Lebküchner tabu und ihr Grundstück bei künftigen illegalen Unternehmungen auszuklammern sei. Dann übersetzte er ihren Namen in eine ihm genehmere Form, und seitdem heißt sie bei uns allen nur noch Frau Keks.
Im Haus gegenüber leben Friedrichs. Sie haben auch ein Kind, und zwar das Mädchen Bettina, Katjas Intima. Bettina war anfangs so schüchtern, daß sie über die Blumen im Teppich stolperte und kaum den Mund aufmachte. In den ersten Monaten unserer Bekanntschaft hörte ich niemals etwas anderes von ihr als »Ja« und »Nein« und »Hä«.
(Vielleicht sollte ich erklären, daß man hierzulande unter »Hä«
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