Jeans und große Klappe
ich auf der Uni kennengelernt. Ich hatte gerade das erste Semester Medizin hinter mir, und er studierte noch Jura, weil die Familientradition das so vorschrieb. Irgendwann kam ihm die Erkenntnis, daß ein Anwalt in der Familie eigentlich ausreicht, vermachte seinem jüngeren Bruder die juristischen Bücher und kaufte sich medizinische. Wir haben dann geheiratet, und als ich ins Physikum stieg, war ich bereits hochschwanger. Constanze kam zu meinen Eltern, ich nahm mein Studium wieder auf, und beim Staatsexamen war ich prompt wieder im sechsten Monat. Mein Professor hat mich doch allen Ernstes gefragt, ob ich auf diese Weise meine Prüfungsangst bekämpfe. Tja, und nun sitze ich hier in dieser Einöde und warte darauf, daß mein Mann seine Assistentenzeit hinter sich bringt und sich dann irgendwo selbständig machen kann.«
»Wollen Sie gemeinsam eine Praxis eröffnen?«
»Wie denn? Dazu müßte ich erst mein zweijähriges Praktikum absolvieren. Genaugenommen war mein ganzes Studium für die Katz. Vielleicht reicht es später mal zur Sprechstundenhilfe, aber ich habe keine Ahnung von Buchführung. – So, und jetzt werden wir uns wohl mal um unseren Nachwuchs kümmern müssen. Er ist so verdächtig ruhig.«
Die beiden Teenager fanden wir zuerst. Sie saßen am Fuß eines knorrigen Baumes und ergingen sieh in tiefsinnigen Betrachtungen über das Leben im allgemeinen und über ihre Altvorderen im besonderen. Junge Leute haben es heutzutage wirklich gut. Sie schlagen irgendeine Zeitschrift auf und finden alle ihre Vermutungen über ihre Eltern bestätigt.
Stefanie hatte das Kommando über die restlichen Kinder übernommen. Sie hockten alle in einem Autowrack und spielten Astronaut. Anscheinend bereiteten sie gerade die Mondlandung vor, denn Rückwärtszählen ist im allgemeinen nur bei Raumfahrtunternehmen üblich.
»Das war der Wagen meines Mannes«, erklärte Frau v. Beversen diese ungewöhnliche Vorgartenzier. »Bisher haben wir noch kein Spielzeug gefunden, das annähernd so beliebt ist wie dieser Blechhaufen. Ich fürchte nur, daß wir bald einen zweiten danebenstellen können. In zwei Monaten muß ich nämlich mit meiner Ente zum TÜV.«
Bei unserem Rundgang hatte ich festgestellt, daß wir die illustre Behausung quasi durch den Hintereingang betreten hatten, denn von vorne präsentierte sieh die alte Mühle in einem ganz ansehnlichen Zustand. Da gab es sogar eine Art Veranda, zu der drei morsche Holzstufen führten, einen Briefkasten und eine Sonnenuhr, die jetzt aber ganz im Schatten der großen Bäume lag. Nun ja, als die Bäume klein gewesen waren, hatte die Sonne bestimmt noch häufiger geschienen als heute, und Quarzuhren hatte es auch noch nicht gegeben. Sonnenuhren sind aber dekorativer.
Der ehemalige Mühlbach – jedenfalls nahm ich an, daß es sich um einen solchen handelte – war zu einem kleinen Rinnsal versickert, in dem Freiherr Nikolaus herumspazierte und Kieselsteinchen wusch, ehe er sie in den Mund steckte.
»Glücklicherweise schluckt er die wenigsten hinunter«, beruhigte mich seine Mutter, bevor sie ihren Jüngsten aus der unansehnlichen Brühe fischte.
Ich sammelte die schmutzstarrenden Zwillinge ein, brachte Stefanie auf Trab, die nicht mehr wußte, wo sie ihre Hosen gelassen hatte, und sie endlich aufgespießt auf einer Heugabel fand, und empfahl Sascha, nun allmählich mit dem Abschiednehmen anzufangen. Dann lud ich meine Gastgeberin spontan zum Abendessen ein. Sie hatte mir erzählt, daß ihr Mann mal wieder Nachtdienst habe und sie einem sehr abwechslungsreichen Abend entgegensehe, wobei man unter Abwechslung die Wahl zwischen dem ersten und dem zweiten Fernsehprogramm zu verstehen habe.
»Danke, ich komme gerne, aber vor halb neun wird es wohl nichts werden. Man sollte seine Kinder zu Bett bringen, solange man noch die Kraft dazu hat. Meine ist heute schon ziemlich erschöpft, also wird es etwas länger dauern. Außerdem sind in einem modernen Haushalt die Kinder das einzige, was noch mit der Hand gewaschen werden muß.«
Rolf war entzückt über unseren angekündigten Gast, verschwand im Bad und tauchte erst nach unangemessen langer Zeit wieder auf, nach sämtlichen Wohlgerüchen duftend, die die heimische Kosmetikindustrie zu bieten hat.
Ich stand derweil in der Küche und verwünschte meinen Einfall, ausgerechnet am Samstag einen Tischgast einzuladen, wenn sämtliche Geschäfte geschlossen sind. Verräterische Spuren, die sich in Kühlschranknähe massierten, zeigten mir
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