Jeans und große Klappe
habe ich doch gar nicht mehr gedacht. Können wir nicht ein andermal fahren?«
»Nein, wir fahren heute!«
»Und was soll ich nun deiner Meinung nach anziehen? Muß es der Frack sein, oder genügt ausnahmsweise der Smoking?«
»Nimm den Cut!«
Sven bedachte mich mit einem finsteren Blick und trollte sich. Minuten später war er zurück. Zu weißen, unten ausgefransten Leinenhosen trug er ein gelbes Hemd mit Schmetterlingen (Leihgabe von Jochen), eine dunkelgrüne Lederweste mit Fransen (geborgt von Thomas), ein schreiend rosa Halstuch (von Stefanie) und einen zehn Zentimeter breiten Ledergürtel mit einem Bronzeadler, der Sascha gehörte. Vervollständigt wurde dieser Anzug durch rote Turnschuhe und eine dunkelblaue Baseballmütze.
Ich sagte gar nichts. Ob Sven mein Schweigen als Bewunderung oder als Klugheit auslegte, weiß ich nicht, aber mir hatte es ganz einfach die Sprache verschlagen. Im stillen gelobte ich Rache, ich wußte nur noch nicht, wie.
Die Fahrt nach Heilbronn fand im geschlossenen Wagen statt und verlief ohne Zwischenfälle. Auch der Verkäufer im Drugstore bekundete kein Erstaunen. Er war an Teenager gewöhnt und hätte sich vermutlich nur bei einem normal gekleideten Jugendlichen gewundert.
Nach einer halben Stunde war sich Sven noch immer nicht schlüssig, ob er die Cowboystiefel nehmen sollte oder doch lieber die mit der umgestülpten Krempe. Langsam wurde ich ungeduldig.
»Könntest du dich vielleicht entscheiden, bevor du aus den Schuhen wieder herausgewachsen bist?«
Die restlichen Einkäufe erledigte ich allein und parkte Sven derweil in der Schallplattenabteilung eines Kaufhauses. Nach zwei Stunden holte ich ihn wieder ab. Er hing noch auf demselben Hocker und wiegte sich mit einem idiotischen Lächeln hin und her. Topfdeckelgroße Kopfhörer schlossen ihn von der Außenwelt ab.
»Können wir jetzt nicht mal was essen?«
Es war schon fünf Uhr und die Zeit der regelmäßigen Fütterung längst überschritten.
Nun habe ich keine besondere Vorliebe für Pommes frites mit Tomatenketchup, und die doppelstöckigen Brötchen aus Wellpappe mit Salatblatt und einer nicht genau zu identifizierenden Einlage mag ich auch nicht. Deshalb weigerte ich mich ganz entschieden, das von Sven bevorzugte Schnellrestaurant anzusteuern.
»Ich möchte jetzt einen anständigen Kaffee trinken und keine Cola, und ich möchte auf einem anständigen Stuhl sitzen und nicht auf einem Plastiktablett. Wir gehen ins Café Nollerl«
»Ist das nicht dieser stinkfeine Laden am Rathaus? Muß das denn sein?« Sven hatte keine Lust. Aber auch kein Geld. Andererseits hatte er Hunger und Durst. Und Durst ist bekanntlich schlimmer als Heimweh. Auch wenn's nur Heimweh nach McDonalds Hamburgern ist.
Wir hatten den Vorraum des Cafés betreten, und Sven wollte gerade die große Schwingtür öffnen, als ich ihm kategorisch erklärte: »Von hier ab trennen sich unsere Wege! Du setzt dich allein irgendwo hin, sofern man dir das überhaupt gestattet, und ich ebenfalls! Während der nächsten Stunde kenne ich dich nicht!«
Bevor Sven begriffen hatte, was ich meinte, war ich schon im Café verschwunden.
Die folgenden Minuten entschädigten mich hinlänglich für alle Qualen, die ich beim Spießrutenlaufen in Begleitung meines mannsgroßen Papageis durchlitten hatte.
Sven betrat zögernd das Café, steuerte den nächsten freien Stuhl an, wurde weitergeschickt, weil der Platz angeblich schon belegt war, sah hilfesuchend zu mir herüber – ständig verfolgt von teils mißbilligenden, teils amüsierten Blicken der übrigen Gäste – und setzte sich schließlich an einen Ecktisch. Als sei es ihm zu warm geworden, nahm er verstohlen das Halstuch ab und schälte sich aus seiner Fransenweste. Bis auf die Schmetterlinge sah er nun ganz manierlich aus.
Die Kellnerin ließ ihn über Gebühr lange warten. Als sie sich endlich vor ihm aufbaute und herablassend nach seinen Wünschen fragte, bestellte der total eingeschüchterte Knabe Kaffee, den er sonst nie trinkt, und Kuchen, den er auch nicht sonderlich mag.
»Da müssen Sie sich schon ans Büfett bemühen«, erklärte das Fräulein schnippisch.
Sven marschierte, jetzt schon mit hochrotem Kopf, noch einmal durch das Café und suchte sich vier Stück Torte aus. Das war seine Rache, schließlich mußte ich ja die Zeche bezahlen. Auf dem Rückweg nahm er drei Zeitschriften mit, hinter denen er sich versteckte.
Während der Heimfahrt strafte er mich mit Nichtachtung, verlor aber auch
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