Jeans und große Klappe
erstenmal die Unfallstation der orthopädischen Klinik in Anspruch.
Die dritte Karteikarte, ausgestellt auf Sascha, wurde vier Wochen später angelegt. Zu seinem Freundeskreis gehörte ein Knabe namens Andreas, Andy genannt, der nicht nur technisch begabt war, sondern darüber hinaus mitunter merkwürdige Einfälle hatte. So hatte er Sascha ziemlich schnell von den Vorteilen einer direkten Sprechverbindung von seinem zu unserem Haus überzeugen können. Da ich in Physik immer eine Vier hatte und bis heute noch nicht erklären kann, wie ein ganz normales Telefon funktioniert, sind mir natürlich die technischen Einzelheiten dieses Sprechfunks nicht mehr geläufig. Ich weiß nur, daß irgendwo eine Antenne angebracht werden sollte, und Andy hielt den oberen Teil der Regenrinne für den geeigneten Standort. Nun hätte man denselben zwar vom Zimmerfenster aus erreichen können, aber Sascha zog den direkten Weg vor. Die Regenrinne war nicht mehr ganz neu, außerdem »hat dieses Kamel von Andy immerzu an dem Draht gezogen«, jedenfalls segelte Sascha abwärts, landete in den Buschrosen und wurde anschließend, bäuchlings auf den Rücksitzen liegend, in die Klinik gekarrt. (Seitdem zieht er eine Badehose wirklich nur noch zum Baden an.)
In den folgenden Jahren gehörten Saschas Mannen schon fast zur Familie, und deshalb sollen sie lieber gleich kurz vorgestellt werden:
Andy wurde schon erwähnt. Er fiel mir gleich in den ersten Tagen durch exzellente Höflichkeit auf und durch die Bereitwilligkeit, mit der er gegen die letzten Nachwirkungen des gerade überstandenen Umzugs ankämpfte. Andy schlug Nägel in die Wände, und zwar dort, wo sie hin sollten, und nicht dort, wo Sven am leichtesten in die Mauer kam; Andy räumte Pappkartons weg und holte Zigaretten. Andy fing die ausgebüxten Zwillinge ein und verpflasterte Steffis aufgeschürftes Knie; Andy holte von zu Hause Verbandszeug, weil Sven in Ermangelung von Isolierband unser Leukoplast zum Reparieren der Tischlampe gebraucht hatte. Andy wollte sogar den Rasen mähen. Der Rasenmäher war kaputt. Das war er schon seit sechs Wochen.
»Haben Sie Handwerkszeug?«
Natürlich hatten wir welches! Bloß wo?
Andy holte eigenes und machte sich ans Werk. Nach einer Stunde gab der Mäher bereits röchelnde Töne von sich. Beim zweiten Startversuch verwandelte er sich in ein feuerspeiendes Ungetüm, beim dritten riß die Zündschnur ab. Andy gab nicht auf. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit knatterte die Maschine dann auch wirklich schön gleichmäßig vor sich hin, und Andy schnitt stolz eine breite Schneise in den Löwenzahn, unter dem wir den Rasen vermuteten. Allerdings stellte er sofort wieder den Mäher ab und wischte sich das Grünzeug aus Gesicht und Haaren. Auf rätselhafte Weise hatte der Grasauswerfer die Richtung geändert und spuckte den gemähten Rasen senkrecht nach oben.
»Ich nehme das Ding lieber mal mit nach Hause«, meinte Andy etwas kleinlaut. »Mein Vater kriegt das schon wieder hin.«
Den Staubsauger hat er allerdings prima repariert, wenn auch die Ersatzteile annähernd so teuer waren wie ein neues Gerät. Und daß die Heizplatte von der Kaffeemaschine wieder funktionierte, hatte ich auch Andy zu verdanken. Man konnte ihm ja keine Schuld dafür geben, daß seitdem das Wasser unten herauslief.
»Klarer Fall von Materialmüdigkeit«, bekräftigte denn auch Sascha, »der Automat ist doch schon fast zwei Jahre alt.«
Dritter im Bunde war Manfred. Groß, dunkler Lockenkopf, sehr zurückhaltend und ein bißchen wortkarg, letzteres aber nur, wenn Erwachsene in Hörweite waren. Manfred hatte den Kopf voller Dummheiten und brütete ständig neue aus. Andy steuerte im Bedarfsfalle sein technisches Know-how bei, und Sascha war meist ausführendes Organ. Wurden weitere Hilfskräfte gebraucht, traten Wolfgang und Eberhard auf den Plan.
Wolfgang war reinblütiger Schwabe, sprach unverfälschten Dialekt und verstand mich genausowenig wie ich ihn. Anfangs mußte Sascha dolmetschen, später brauchte er nur noch Wolfgangs Antworten zu übersetzen, weil der inzwischen Hochdeutsch konnte. Nach einem halben Jahr etwa vermochten wir uns endlich ganz zwanglos zu unterhalten.
Eberhard, Hardy genannt, war mir sofort sympathisch. Er war Berliner (ich auch), aufgewachsen in Kreuzberg (ich nicht) und seiner Heimatsprache treu geblieben.
Übrigens war er der einzige des ganzen Vereins, der nicht das Gymnasium besuchte, sondern die ortsansässige Realschule.
»Meine Mutter hat
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