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Jeans und große Klappe

Jeans und große Klappe

Titel: Jeans und große Klappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Stadien des Sonnenbrands gestatten.
    Eine Dame, die vormittags um zehn Uhr mit sorgfältig frisierten Haaren, hochhackigen Schuhen und Handtasche durch die Straßen schlendert und sehr ausgiebig die schon seit acht Wochen ewig gleiche Schaufensterdekoration des Augenoptikers studiert, ist mit Sicherheit ein Kurgast. (Ihre Nachbarin dagegen, bekleidet mit geblümter Kittelschürze und Gesundheitssandaletten, die an den reichhaltig zur Schau gestellten Sonnenbrillen vorbeieilt, ist garantiert kein Kurgast!)
    Kurgäste tragen häufig einen Spazierstock, noch häufiger einen Regenschirm, jedoch immer einen Fotoapparat, letzteren vornehmlich vor dem Bauch. Sie treten überwiegend in Rudeln auf. Einzelgänger sind selten, und wenn doch, dann streben sie – im Trainingsanzug und mit einem zusammengerollten Handtuch unter dem Arm – im Eilschritt zum Kurmittelhaus, um sich einer ärztlicherseits verordneten Therapie zu unterwerfen.
    Dann gibt es natürlich auch noch den berühmten Kurschatten, der draußen vor der Telefonzelle wartet, während drinnen die so Beschattete zum preisgünstigen Mondscheintarif mit den Daheimgebliebenen spricht. Einen männlichen Kurschatten erkennt man daran, daß er Handtäschchen und Regenschirm seiner Begleiterin trägt, an wärmeren Tagen auch die Kostümjacke. Ein weiblicher Kurschatten fällt durch die Sorgfalt auf, mit der er den Schal seines Begleiters zurechtzupft oder die Parkbank abstaubt, bevor sich beide darauf niederlassen. Auch pflegt man Ehepaare gesetzten Alters normalerweise höchst selten händchenhaltend durch den Kurpark wandeln zu sehen. Tun sie es dennoch, sind es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit keine Ehepaare. Honi sofft qui mal y pense!
    Im Supermarkt kann man Kurgäste ebenfalls mühelos von anderen Kunden unterscheiden. Sie interessieren sich weder für den preiswerten Blumenkohl noch für Haushaltswaren, sie steuern vielmehr zielsicher die Abteilung für Getränke an und wählen sorgfältig das ihnen Genehme (und vermutlich Verbotene) aus. Wer im Einkaufswagen lediglich Papiertaschentücher, Sonnenöl, Ansichtskarten und zwei Flaschen Sekt zur Kasse rollt, ist ein Kurgast. Kauft er darüber hinaus auch noch einige Miniaturpackungen Butter, vakuumverschlossene Räucherwurst und Käsescheiben in Frischhaltefolie, dann gehört er vermutlich zu den Bedauernswerten, die auf Diät gesetzt sind.
    Kurgäste sind auch jene Mitbürger, die einen höflich fragen, ob es einen Schuhmacher am Ort gebe und wo man die Lottoscheine loswerden könne. Hat man ihnen möglichst narrensicher den Weg beschrieben, dann findet man sie zehn Minuten später in der entgegengesetzten Richtung, wo sie kopfschüttelnd nach der Tankstelle suchen, in deren Nachbarschaft der Zigarrenladen sein soll.
    Kurgäste befinden sich in einer Art Urlaubsstimmung und sind geneigt, auch dort Geld auszugeben, wo sie zu Hause nicht eine einzige Mark herausrücken würden. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grunde zierte den Eingang zum Schulhof ein riesiges Transparent mit der Aufschrift: »Wir begrüßen ganz besonders herzlich unsere Kurgäste!«
    Und sie kamen in Scharen. Bereits nach anderthalb Stunden waren sämtliche Lose verkauft, die recht zahlreichen Gewinner stürmten unentwegt zur Tür herein, verlangten sofortige Abfertigung und machten häufig genug Anstalten, sich selbst zu bedienen.
    »De Nummer 28 isch des Rote dohinne!«
    »Ich hab' Nummer 117. Isch des die Häkeljack? Dann schenk ich se meiner Oma zum Namenstag.«
    »Was soll ich met em Kaktus? Bin ich e Kamel?«
    Manchmal gelang es mir, heimlich die Schilder zu vertauschen, denn ich brachte es einfach nicht übers Herz, einem Achtjährigen ein Glas mit Sauerkraut in die Hand zu drücken, während er begehrlich auf das danebenliegende kleine Taschenmesser schielte. Und was sollte wohl der fast zahnlose Opa mit der knallgelben Pudelmütze anfangen? Die damit schnell ausgetauschte Flasche Rotwein war ihm bestimmt lieber.
    Sonderwünsche konnten allerdings nicht berücksichtigt werden. Ein kleines Mädchen forderte lautstark: »Ich mag gern des Buch hawe mit dem Gaul, druff!« Empörter Protest von der entgegengesetzten Seite: »Des isch fei meine Nummer!«
    Langsam leerte sich unser Warenlager. Ein paar Gurkengläser standen noch herum, mehrere Shampoo-Flaschen, drei Blumentöpfe, auf dem Boden lagen zwei zertretene Kugelschreiber, und das Wagenrad lehnte auch noch in seiner Ecke. Möglicherweise hatte der Gewinner nach Besichtigung seines

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