Jeans und große Klappe
überhaupt, wann und warum bei uns der Haussegen schiefhing?
Dann kamen die Antworten. Tante Lotti wollte wissen, wie denn die Sache mit der Theateraufführung ausgegangen war, und Onkel Henry forderte nähere Einzelheiten über den einzementierten Weihnachtsbaum an.
Der Gatte Rolf, dem ich kopfschüttelnd den vermehrten Posteingang vorlegte, empfahl mir, künftige Briefe auf Matrize zu schreiben und an Dauerabonnenten zu verschicken. »Aber per Nachnahme, damit du wenigstens die Portokosten wieder reinkriegst!«
Wann ich auf die Idee gekommen bin, über unsere Familie ein Buch zu schreiben, weiß ich nicht mehr. Vermutlich damals, als Sven und Sascha zum soundsovielten Mal zum Polizeirevier zitiert wurden, weil sie etwas ausgefressen hatten. Ich sehnte mich mal wieder nach unserer dörflichen Idylle zurück, in der es keinen Polizeiposten gegeben hatte und Lausbubenstreiche von den Betroffenen unbürokratisch-handfest und daher sehr nachhaltig behandelt worden waren. Andererseits war die Idylle ja gar nicht so idyllisch gewesen, und wenn wir die helfende Hand unserer Wenzel-Berta nicht gehabt hätten …
Kurz und gut, ich setzte mich an die Schreibmaschine (Jahrgang 1949 und schon ziemlich altersschwach) und fing an zu tippen. Die Familie, an gelegentlich ausbrechenden Eifer bei der Beantwortung von Privatbriefen gewöhnt, ertrug das Geklapper mit Fassung. Nach drei Wochen äußerte Rolf die Vermutung, ich müßte nunmehr wohl die gesamte Post der vergangenen zwei Jahre erledigt haben, einschließlich Glückwünschen, Kondolenzschreiben und Festtagsgrüßen.
Ein Windstoß lüftete mein sorgsam gehütetes Geheimnis. 43 Manuskriptblätter segelten durch das geöffnete Fenster in den Garten, wo sie von Sven zwar diensteifrig eingesammelt, aber nebenbei auch oberflächlich gelesen wurden.
Die Bombe platzte. Die Familie ebenfalls.
»Mußt du denn jetzt auch auf dieser Welle mitschwimmen? Selbstverwirklichung oder wie der Quatsch sonst noch heißt? Knüpf' doch wenigstens Teppiche, dann haben wir alle was davon!« Das war Sven.
Sascha war praxisbezogener: »Für so was sitzt du nun stundenlang an der Schreibmaschine, aber meinen Knopf von den Jeans hast du immer noch nicht angenäht. Die Tasche vom Parka ist auch ausgefranst!«
Rolf sagte überhaupt nichts und beschränkte sich auf ein mitleidiges Lächeln. Ein paar Tage später meinte er gönnerhaft: »Du kannst mir ja mal dein Manuskript zeigen, vielleicht läßt sich wirklich etwas daraus machen.«
»Du bist nicht mehr mein Chef und ich nicht mehr dein Textlieferant!« giftete ich zurück. »Kümmere dich lieber um deine Bandnudeln!« Seit Tagen schon suchte er nach einem zugkräftigen Slogan für ein neues Teigwarenprodukt.
Die Knaben wollten Leseproben, kriegten keine, fingen an zu sticheln.
»Schade um das viele schöne Papier!«
»Wieviel zahlt eigentlich das Fernsehen für Verfilmungsrechte?«
»Hast du schon Autogrammpostkarten?«
Nur nicht hinhören! redete ich mir selbst gut zu, wenn ich nachmittags mit Schreibmaschine, Zigaretten und Kaffeekanne in Steffis Zimmer zog, die zwar pflichtgemäß gegen ihre zeitweilige Ausbürgerung protestierte, sich aber ohnehin so gut wie nie in ihren eigenen vier Wänden aufhielt.
Kurz vor Weihnachten hatte ich mein Opus beendet, stopfte 198 beschriebene Blätter in eine Schublade und widmete mich schuldbewußt und daher mit doppeltem Eifer der Festtagsbäckerei. Die Kinder hatten bereits ernsthaft eine Übersiedlung zu den Großeltern erwogen, denn normalerweise waren sie um diese Jahreszeit schon fündig geworden, wenn sie Pirschgänge in den Vorratskeller unternommen hatten. Diesmal waren die Keksdosen aber noch alle leer. Und Steffis Haferflockenplätzchen fraß nicht mal der Hund von gegenüber.
Was macht man nun mit einem Buchmanuskript, wenn man nicht Konsalik heißt und nicht Kishon, wenn man am vorletzten Ende der Welt lebt, keine einschlägigen Beziehungen hat und neben dem Frühstücksteller des öfteren so ermunternde Zeitungsausschnitte entdeckt wie beispielsweise den Hinweis, daß jährlich etwa 80 000 Neuerscheinungen auf den deutschen Buchmarkt kommen? Entweder man resigniert, was nun aber nicht meinem Charakter entspricht, oder man begibt sich in die ortsansässige Buchhandlung, bekundet ein bisher nicht geäußertes Interesse an literarischen Angeboten und deckt sich mit zwei Dutzend verschiedenen Verlagsprogrammen ein. Diesen Schatz trägt man nach Hause, wo man tunlichst die Literaturpäpste
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