Jeans und große Klappe
zurück in dem Bewußtsein, eine außerordentlich gute Tat getan zu haben.
»Vermutlich werde ich die Geschichte ja irgendwie ausbaden müssen«, prophezeite Stefanie, »aber selbst wenn Sascha mir diesmal einen echten Regenwurm ins Bett legt statt so einer Plastikattrappe, war's mir den Spaß wert.«
Unnötig, zu erwähnen, daß künftige Waldläufe ohne familiäre Zaungäste stattfanden. Genaugenommen fanden sie nur noch zweimal statt. Zunächst einmal knallte Stefanie mit ihrem Rad gegen einen Laternenpfahl, wobei sich die Laterne als wesentlich widerstandsfähiger erwies. Der Riß im Bein mußte genäht werden, und der gebrochene Mittelfinger kam in Gips. Als die Wunden verheilt waren, litt Steffi zum erstenmal unter Liebeskummer, hängte ihren sportlichen Ehrgeiz an den Nagel und überlegte drei Wochen lang, ob sie nun ins Kloster oder lieber nach Indien gehen sollte, um ihr ferneres Leben in den Dienst armer Waisenkinder zu stellen. Zum Glück entdeckte sie noch rechtzeitig, daß Matthias sowieso ein altes Ekel und ihrer Zuneigung gar nicht würdig sei, außerdem hatte sie noch niemals gerne Reis gegessen, und so werden die Waisenkinder wohl doch auf andere Samariter angewiesen sein.
Als sich ihre seelische Verfassung wieder auf den Normalzustand eingepegelt hatte, war es Winter geworden, und weil die Waldwege im Gegensatz zu den Straßen nicht in das städtische Schneeräumprogramm aufgenommen werden, konnte ich an den Sonntagen endlich wieder richtig ausschlafen. Was im übrigen auch sehr gesund sein soll.
Kurz nach Neujahr rief Regina an. Wir kennen uns seit dreißig Jahren, haben gemeinsam die Schulbank gedrückt, Pellkartoffeln und künstlichen Brotaufstrich geteilt, gelegentlich auch die Strafarbeiten für schon längst vergessene Schandtaten, und wenn wir uns auch nur noch recht selten sehen, so ist die Verbindung zwischen uns dank Herrn Minister Gscheidles Mondscheintarif nie abgerissen. Regina lebt noch immer in Berlin, und eigentlich habe ich es nur ihr zu verdanken, wenn ich hin und wieder doch noch mal in meine alte Heimat komme. Nachtquartier, ausgedehnte Streifzüge durch Berlins Kulturleben sowie stundenlange ergötzliche Tratschereien über alte Bekannte sind mir allemal sicher.
Nachdem sie mir alles Gute zum Jahreswechsel gewünscht und sich erkundigt hatte, ob ich zu Weihnachten nun endlich den Verdienstorden oder zumindest die Tapferkeitsmedaille bekommen hätte – »achtzehn Jahre verheiratet und fünf Kinder, wie hast du das bloß bis jetzt ausgehalten?« –, kam sie zur Sache:
»Halte dir die zweite Februarwoche frei! Mit deinem Erscheinen wird gerechnet.«
»Wo und warum?« wollte ich wissen.
»Hier in Berlin natürlich. Irgend jemand hat nachgerechnet, daß wir vor zwanzig Jahren unser Abitur gebaut haben, und nun soll das Jubiläum gebührend gefeiert werden. Wir haben tatsächlich von allen die Adressen zusammengekriegt, weil es immer irgendwelche Kreuz-und-quer-Verbindungen gibt, und so, wie es momentan aussieht, werden alle kommen. Sogar Anita hat zugesagt.«
Anita lebt in Amerika, genauer gesagt, in Atlanta.
»Und wieso seid ihr auf mich gekommen? Ich gehöre doch gar nicht dazu. Es dürfte dir ja noch bekannt sein, daß ich bereits nach der zehnten Klasse die Gertraudenschule verlassen habe und nach Düsseldorf übergesiedelt bin.«
»Ist doch Blödsinn. Erstens bist du nicht freiwillig emigriert, und zweitens hast du trotzdem immer dazugehört. Irene hat mich extra gebeten, dir rechtzeitig Bescheid zu sagen. Die offizielle Einladung kriegst du sowieso noch.«
»Darf ich dich darauf aufmerksam machen, daß ich fünf unmündige Kinder habe, dazu einen Mann, was in diesem Fall noch schlimmer ist, und keineswegs so einfach abhauen und meine Familie ihrem Schicksal überlassen kann.«
»Deshalb rufe ich dich ja so früh an. Innerhalb von sechs Wochen wirst du doch wohl eine Lösung finden. Stell Rolf mal an den Herd, der kann das ohnehin besser als du. Und wenn er selber mal abwaschen muß, dann schadet ihm das gar nichts.«
»Mir geht's nicht um Rolf, ich mache mir Sorgen wegen der Kinder. Die kommen doch keinen Tag pünktlich zur Schule.«
»Und wenn schon. Dann kommen sie eben mal eine Woche lang zu spät. Davon geht die Welt auch nicht unter. Ausreden werden jedenfalls nicht akzeptiert. Als Entschuldigung gilt höchstens ein Beinbruch, und auch der nur, wenn du keinen Gehgips hast.«
Die Familie nahm meine Reisepläne mit gemischten Gefühlen auf. Nur die
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