Das Programm
1
Chris zog den gelben Klebezettel von seinem Lieblingskaffeebecher und las die Nachricht in der vertrauten, verschlungenen Schrift: Bin nach Prag. Mittwoch zurück. Vielleicht. Herzlich, L.
Er seufzte und schüttelte den Kopf. Es war Montagmorgen, der erste Morgen nach zehn traumhaften Tagen Skifahren in den französischen Alpen. Er war seit halb sieben im Büro, ausgeruht und bereit, alles auszubügeln, was Lenka während seiner Abwesenheit mit ihrer Firma verbockt haben mochte. Wie er erwartet hatte, gab es eine ganze Menge. Der Computer war abgestürzt, die Rechnungsprüfer des Fonds monierten in einem Schreiben Probleme bei der Verbuchung aufgelaufener Zinsen, und sie hatte eine erhebliche Position Anleihen einer außerordentlich windig klingenden polnischen Mobilfunkgesellschaft gekauft.
Und dann noch diese Nachricht.
Sie wusste, dass er sich ärgern würde. Deshalb hatte sie ihn an den Kaffeebecher in der Küche geklebt, damit ihm ein paar Minuten blieben, um anzukommen, bevor er den Zettel fand. Wie aufmerksam. Sie hätte wenigstens einen Tag in London bleiben können, um ihn ins Bild zu setzen. Es war der erste Urlaub, den er genommen hatte, seit Lenka und er im vorigen Jahr ihre eigene Fondsverwaltungsgesellschaft gegründet hatten: Carpathian Fund Management. Er hatte schon damit gerechnet, dass ohne ihn alles aus dem Ruder laufen würde, aber wenn er die Augen schloss und an den knirschenden Pulverschnee unter den Skiern dachte, wusste er, es war die Sache wert.
Das Telefon klingelte. Er stellte den Kaffeebecher auf seinem Schreibtisch ab und nahm den Hörer auf. »Carpathian.«
»Morgen, Chris! Na, ordentlich Bräune getankt?« Die heisere, gut gelaunte Stimme erkannte er sofort.
»Lenka! Wo bist du?«
»Hast du meine Nachricht nicht bekommen? Ich bin in Prag.«
»Schon, aber was machst du da? Du wärest besser hier und würdest mir erzählen, was alles gelaufen ist.«
»Du bist doch ein schlaues Kerlchen, Chris. Du kriegst das schon raus. Außerdem gibt’s tolle Neuigkeiten. Ich hab ein Büro für uns!«
»In Prag?«
»Natürlich in Prag. Weißt du noch, wir haben doch darüber gesprochen?«
Es stimmte. Sie hatten mal darüber gesprochen, nach und nach in ganz Mitteleuropa kleine Büros zu eröffnen. Aber noch nicht gleich. Der Gedanke an all den Verwaltungskram, der mit der Eröffnung und dem Betrieb eines solchen Büros verbunden war, hatte ihn abgeschreckt.
»Was ist los, Chris? Die Räume sind ideal. Und ich glaube, ich habe jemand gefunden, der die Leitung übernehmen kann. Jan Pavlík. Er wird dir gefallen. Komm rüber und schau dir die Sache an.«
»Wann denn? Wie soll das gehen? Hier ist viel zu viel zu tun.«
»Das kann warten«, sagte Lenka. »Die Sache hier ist wichtig. Und wir müssen rasch handeln, um das Büro zu kriegen. Komm schon. Ich möchte das nicht ohne dich entscheiden.«
Chris hatte den Eindruck, dass sie genau das tat.
»Aber was ist mit dem Computer? Und was um Himmels willen sollen wir mit fünfundzwanzig Millionen Euro Eureka Telecom anfangen?«
»Mach dir keine Sorgen. Ollie hat jemanden aufgetrieben, der heute Morgen vorbeikommt und den Computer in Ordnung bringt. Und ich erzähl dir alles über Eureka Telecom, wenn du hier bist. Es hat seine eigene Bewandtnis mit dem Bond.«
»Das hoffe ich«, sagte er.
»Oh, Chris, du hörst dich so grimmig an«, sagte Lenka und tat, als sei sie schrecklich eingeschüchtert. »Stell dir vor, gegenüber vom Büro ist der Goldene Bär, eine tolle Kneipe. Da gibt es Budweiser vom Fass. Ich versprech dir, es wird dir gefallen.«
Er zögerte. Durch das Fenster fiel sein Blick auf die höchsten Zweige der Eichen, die unten vom Platz aufragten. Auch im fünften Stock hörte man noch den Londoner Verkehrslärm, angereichert mit dem Gebrüll eines Taxifahrers, der einem Fahrradkurier wüste Beschimpfungen hinterherschrie. Es stimmte schon, sie hatten ihren Investoren versprochen, dass sie Filialen in Mitteleuropa eröffnen würden. Es sei wichtig, hatten sie gesagt, vor Ort präsent zu sein, um den Markt richtig zu verstehen. Es war wohl an der Zeit, dass sie ihr Versprechen wahr machten.
»Na komm schon, Chris«, sagte Lenka. »Wenn du mir den Kopf waschen willst, kannst du es auch hier tun.«
Wie gewöhnlich bekam Lenka ihren Willen.
»Na gut«, seufzte er, »bis heute Abend.«
Das Taxi schlängelte sich vorsichtig durch die Autos, die auf dem kleinen, schneebedeckten Platz ohne erkennbare Ordnung abgestellt worden
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