Jeans und große Klappe
auch nicht die Folgen meiner Abwesenheit zu tragen haben. Eigentlich schade.
Vorsichtshalber informierte ich Frau Keks von meinen Reiseplänen.
»Endlich werden Sie vernünftig«, lobte sie. »Lassen Sie Ihre Fünf ruhig mal allein zurechtkommen, und im Notfall bin ich ja auch noch da. Wissen Sie, was ich früher manchmal gemacht habe, wenn ich mal wieder Minderwertigkeitskomplexe bekam? Ich habe mich einfach einen Tag lang krank ins Bett gelegt und meinem Mann Haushalt und Kinder überlassen. Sie glauben gar nicht, was für ein Selbstbewußtsein ich am nächsten Morgen wieder hatte.«
Außerdem beschloß Frau Keks, meine verwaisten Ableger am Sonntag zum Essen einzuladen. »Ich koche einen Riesentopf Spaghetti Bolognese. Mir ist noch kein Kind zwischen zwei und zwanzig untergekommen, das diese Bandwürmer nicht leidenschaftlich gern ißt.«
Zwei Tage vor meiner Abreise legte Sven mir seinen Generalstabsplan vor. Demnach wollte er morgens das allgemeine Wecken übernehmen, was zumindest eine Chance bot, daß alle halbwegs pünktlich zur Schule kommen würden. Um das Frühstück würde sich Sascha kümmern, während Steffi die Morgentoilette der Zwillinge zu überwachen hatte. Mittags sollte es lediglich einen leichten Imbiß geben, wobei die Ansichten über Umfang und Beschaffenheit desselben noch auseinandergingen, und am Nachmittag sollte gekocht werden, womit man hoffentlich bis zum Abend fertig sein würde. Hausaufgaben sollten ›irgendwann zwischendurch‹ erledigt werden, desgleichen Abwaschen, Aufräumen und was an sonstigen nebensächlichen Tätigkeiten noch anfalle.
Trotzdem füllte ich die Kühltruhe mit diversen Packungen Pizza, für die alle Kinder eine mir unbegreifliche Vorliebe haben, besorgte tiefgefrorene Fertiggerichte, ein Dutzend Obstkonserven sowie zwei Kisten Sprudel. Dann deponierte ich neben dem Telefon die Nummern unserer Hausärztin, der Feuerwehr und des Notarztwagens in der Hoffnung, eine der drei Institutionen würde bei eventuell auftretenden Katastrophen zuständig sein.
Nachdem ich nun alles Erdenkliche für das leibliche und seelische Wohlergehen meines Nachwuchses getan hatte, konnte ich mich endlich mal um mich selbst kümmern.
Kofferpacken. Was trägt man bei einem Klassentreffen? Macht man auf seriös oder lieber ein bißchen auf jugendlich? Aber es ist ja auch möglich, daß die ganze Sache sehr feierlich aufgezogen wird und man das kleine Schwarze braucht. Zu dumm, ich hätte Regina fragen sollen. Am besten nehme ich das dunkle Jackenkleid mit, damit könnte ich notfalls auch ins Theater gehen.
Mit nichts drunter und Schmuck dran ist es festlich, mit Rollkragenpullover und Gürtel sportlich.
Den hellblauen Hosenanzug packte ich auch noch ein, wegen der jugendlichen Note!
Im Geiste ließ ich meine ehemaligen Mitschülerinnen Revue passieren. Was mochte aus ihnen geworden sein? Mit meiner früheren Clique stand ich noch in loser Verbindung, aber von den meisten anderen wußte ich gar nichts. Ob Evchen tatsächlich Jugendrichterin geworden war? Oder Lilo, die schon damals herrenlose Katzen aufgelesen hatte und unbedingt Tierärztin werden wollte? Ob man wohl befangen ist, wenn man sich nach zwanzig Jahren plötzlich wiedersieht? Seinerzeit waren wir ein ziemlich verschworener Haufen gewesen und der Schrecken des Lehrerkollegiums, aber inzwischen dürften sich unsere damaligen gemeinsamen Interessen wohl doch ein bißchen gewandelt haben …
Donnerstag! Die Maschine sollte um achtzehn Uhr starten, also würde ich kurz nach drei fahren müssen. Die Bahnverbindungen zwischen Bad Randersau und dem Rest der Welt sind nicht die besten. Die schnellen Züge halten nicht da, wo man aussteigen will, und die langsamen halten auch woanders.
Kurz nach zwölf klingelte es. Vermutlich die Zwillinge, bei denen fielen neuerdings dauernd Unterrichtsstunden aus.
Vor der Tür stand Christiane. »Hier ist Steffis Mappe und ihr Anorak, den hatte sie ja gar nicht anziehen können. Wissen Sie denn schon, ob der Arm nun wirklich gebrochen oder doch bloß verstaucht ist?«
Sehr intelligent muß ich wohl nicht ausgesehen haben, denn Christiane erkundigte sich besorgt: »Oder wissen Sie etwa noch gar nichts?«
»Was soll ich wissen?«
»Steffi ist doch während der Turnstunde vom Barren geknallt und auf den Arm gefallen. Der ist sofort angeschwollen, und deshalb hat man sie gleich hier in die Klinik gefahren. Ich dachte, die hätten Sie längst angerufen.«
»Mich hat niemand angerufen. Wann
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