Jeans und große Klappe
dann ist Schlips und Kragen Vorschrift.«
Bei uns herrschen demokratische Verhältnisse, und in einer Demokratie entscheidet immer die Mehrheit. Die Mehrheit war also für einen alternativen Urlaub. Da sich die Mehrheit aber nicht um so belanglose Kleinigkeiten zu kümmern brauchte, wie: Wo kann man einkaufen? Gibt es frische Milch? Gehören zum gemieteten Mobiliar auch Dosenöffner und Wäscheklammern? blieb es allein mir überlassen, zu entscheiden, ob ich einen Tauchsieder mitnehmen sollte oder doch lieber einen Leitfaden für Pfadfinder.
Mein Gatte hatte bei der Anmietung des Feriendomizils zwar festgestellt, daß man 287 Schritte bis zum Strand benötigte und 321 Schritte bis zum Getränkekiosk – angeblich führte der vier verschiedene Biersorten –, aber leider wußte er nicht, ob es elektrisches Licht in dem Häuschen gab.
»Im Sommer bleibt es doch lange hell, und außerdem ist eine Petroleumlampe viel romantischer«, sagte Sven.
»Ein qualmendes Holzfeuer, auf dem man Essen kochen soll, ist aber weit weniger romantisch!« Ich konnte mich noch recht gut an die Nachkriegszeit erinnern, als wir mangels Strom und Gas zu den Gepflogenheiten unserer Ahnen zurückkehren und auf einem altersschwachen Kohleherd kochen mußten. Aber wenigstens hatten unsere Ahnen eine saftige Schweinslende oder einen Vorderschinken braten können, während wir nur in einem wässerigen Mehlsüppchen rühren konnten.
Endlich waren die Koffer gepackt (nach einer Ferienreise stellt man immer fest, daß man mit halb soviel zum Anziehen und doppelt soviel Geld recht gut ausgekommen wäre!), Hamster, Wellensittich und Schildkröte in Pension gegeben, Schlauchboot, Gartengrill und 38 Musikkassetten im Auto verstaut, Hausschlüssel zu Frau Keks gebracht, anschließend wieder zurückgeholt, weil in Saschas Zimmer noch der Plattenspieler orgelte, Streit geschlichtet, wer am Fenster sitzen darf … es konnte losgehen.
Die größte Erfindung des Menschen war bekanntlich das Rad – bis er sich dahintersetzte. Rolf gehört zu jenen Autofahrern, die die Straßenverkehrsordnung im Kopf haben und jedes Vergehen anderer Verkehrsteilnehmer unnachsichtig ahnden. Er kriegt es fertig, mitten auf einer Kreuzung anzuhalten, auszusteigen und einem darob völlig verstörten Fahrer die Vorfahrtsregeln herunterzubeten. Dabei beeindruckt es ihn nicht im geringsten, wenn sich hinter ihm eine endlose Schlange wütender Autos bildet.
Diesmal verlief die Fahrt ohne programmwidrige Unterbrechungen, von den gelegentlichen und meist saisonbedingten Staus einmal abgesehen. (Übrigens werden auch heute noch Eingeborene, die mit Trommeln böse Geister zu vertreiben suchen, von jenen aufgeklärten Autofahrern zutiefst verachtet, die mit lautem Hupen eine Verkehrsstockung beseitigen wollen!!)
Wir waren bei strahlendem Sonnenschein abgefahren. An der Grenze hüllten wir uns bereits in Wolljacken, kurz hinter Amsterdam schaltete Rolf die Heizung ein, und als wir endlich unser Ziel erreicht hatten, goß es in Strömen.
»Direkt am Meer klärt es sich immer schnell wieder auf, morgen früh scheint bestimmt die Sonne«, versicherte Rolf und bemühte sich, mit der unterwegs gekauften Illustrierten und fünf Stückchen Holz ein Feuer in dem hübschen altmodischen Herd zu entfachen. Einen elektrischen Kocher gab es aber auch. Er hatte zwei Platten, von denen die eine nur noch auf der linken Seite heiß wurde.
Unser derzeit verwaistes Heim mochte bescheiden sein, aber es bot ungleich mehr Komfort und Behaglichkeit als dieses zehnmal so teure Ferienparadies. Die drei Schlafzimmer waren spartanisch eingerichtet, das Kücheninventar schien auf den Bedarf eines Rentnerpaares zugeschnitten zu sein – es gab keine Bratpfanne, dafür aber drei Milchkannen, deren größte fünf Liter faßte –, und die Wohnzimmermöbel ließen vermuten, daß Holländer eine andere Anatomie haben als Deutsche. Die Sessel sahen sehr dekorativ aus, nur zum Sitzen waren sie völlig ungeeignet.
Nun soll man ja seine Ferien nicht im Haus, sondern außerhalb desselben verbringen. Dort gab es eine Veranda, davor Wiese, drumherum Bäume und irgendwo dahinter vermutlich das Meer. Wir hörten es rauschen, sehen konnten wir es nicht. Es regnete noch immer. Es regnete auch am nächsten Morgen, und als es aufhörte, wurde es windig. Hierbei handelte es sich nicht etwa um ein zärtliches lindes Lüftchen, nein, es war ein ausgewachsener Sturm, der die Fenster zum Klappern brachte und das aufgeblasene
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