Jeans und große Klappe
endgültigen Wegtauchen nur durch den Stecker gehindert, dann gab es einen Knall, und alle Sicherungen waren draußen. Die meisten Leute riskieren eben lieber ein Unglück, als eine Gebrauchsanweisung zu lesen.
Rolf meinte später, die Reparaturkosten seien weniger schmerzlich gewesen als die Kommentare des Elektrikers. Seitdem repariert er nichts mehr selber. Die Erläuterungen der Nachbarn, wie er es einfacher und besser gemacht hätte, waren wohl zu deprimierend.
Ich weiß nicht, wie andere Frauen es machen, daß sie immer Zeit haben (und wenn sie keine Zeit haben, dann nur deshalb, weil sie zur Hausfrauen-Gymnastik müssen oder beim Friseur angemeldet sind). Ich habe nie Zeit! Oder nur ganz selten, und selbst dann passiert meist etwas Unvorhersehbares. Katja fällt ein, daß sie vergessen hat, aus der Hosentasche ihrer weißen Jeans den Kugelschreiber herauszunehmen – die Waschmaschine schaltet gerade den ersten Spülgang ein –, oder Stefanie teilt mir beiläufig mit, daß sie in einer Stunde zu einer Geburtstagsparty eingeladen sei und kein Geschenk habe. Ob ich nicht etwas improvisieren könne, weil doch mittwochs am Nachmittag die Läden geschlossen seien. Oder Sascha eröffnet mir strahlend, er wolle Russisch lernen und deshalb auf eine Schule nach Heilbronn überwechseln.
Meine Freizeit verbringe ich also mit Überlegungen, wie man Kugelschreiberflecke aus Hosen entfernt, ob man einer Vierzehnjährigen zum Geburtstag ockerfarbene Frottee-Handtücher schenken kann, weil ich davon noch ein paar unbenutzte liegen habe, und wie man seinem Sohn klarmacht, daß Russisch nicht mehr aktuell und Chinesisch die kommende Fremdsprache sei.
12
Als ich wieder einmal in einer kostbaren Mußestunde versuchte, von den Zeitungen der vergangenen Woche wenigstens die Überschriften zu lesen, baute sich Steffi vor mir auf und fragte ganz harmlos:
»Nicht wahr, es macht dir doch nichts aus, wenn Christiane ein paar Tage zu uns kommt? Ihre Oma ist nämlich krank, und deshalb ist ihre Mutter zu ihr hingefahren.«
Christiane verbrachte ohnehin den größten Teil des Tages bei uns und verschwand in der Regel nur zu den Essenszeiten – häufig genug nicht einmal dann. Ich wußte wirklich nicht, was sich an dem gegenwärtigen Zustand besonders ändern sollte.
»Ich meine doch, daß Christiane auch bei uns schläft, sie grault sich sonst so ganz allein.«
»Ist denn ihr Vater nicht da?«
»Nee, der ist auf Montage in Syrien oder Syrakus oder so ähnlich!«
»Macht ja nichts, ist doch fast dasselbe! Also von mir aus kann sie kommen, das Gästezimmer ist frei.«
»Kommt nicht in Frage«, protestierte Steffi, »sie schläft bei mir im Zimmer. Wir stellen einfach das Harmonikabett rein!«
Erbstück meiner Großmutter und Relikt aus längst vergangenen Luftschutzkellertagen, als man vorwiegend unterirdisch lebte und zusammenklappbare Möbelstücke bevorzugte, die zwar selten bequem, aber immer platzsparend waren.
Christiane zog also zu uns (»Vielen Dank, es ist ja nur bis Sonntag!«), und damit begann für mich ein neues Erlebnis. Ich wurde mit einem schon ausgewachsenen weiblichen Teenager konfrontiert.
Christiane war knapp anderthalb Jahre älter als Stefanie, aber mindestens drei Jahre reifer. Folglich bestand ihr Gepäck aus einer Plastiktüte, in der sich ein Schlafanzug befand sowie eine Zahnbürste, und einer mittelgroßen Reisetasche, angefüllt mit Döschen, Fläschchen, Tuben, Schachteln, Kämmen, Bürsten, Lockenwicklern, Musikkassetten und Kaugummi.
Bereits am ersten Abend verbarrikadierten sich die beiden jungen Damen, also die fast ausgewachsene und ihre lernbegierige Vasallin, im Bad, aus dem sie erst wieder herauskamen, nachdem Sascha gedroht hatte, die Fensterscheibe einzuschlagen. Steffis schulterlanges Haar war zu Schnecken aufgedreht und mit wie Schwerter gekreuzten Nadeln festgesteckt, ihr Gesicht mit einer Art Tapetenkleister beschmiert, die Fingernägel glänzten silbern, und an den Ohren hingen Clips in der Größe von Christbaumkugeln.
Sascha staunte seine Schwester sekundenlang an, bevor sein Blick zu Christiane wanderte, die so ähnlich aussah. Dann brüllte er los: »Määm, ruf die Polizei an, wir haben Besuch von Außerirdischen!«
»Alberner Kerl«, sagte Christiane hochmütig, verschwand in Steffis Zimmer und knallte die Tür zu.
»Naja, die Gesichtsmaske sieht vielleicht ein bißchen komisch aus«, gab Stefanie zu, »aber schließlich muß man ja mal etwas für sein Aussehen
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