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Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)

Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition)

Titel: Jeder Augenblick ist ewig: Die Gedichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konstantin Wecker
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Wegweiser, der stehen bleibt, nur zeigt, wo es hinzugehen hat, er geht selber mit. Er ist, und das ist der innerste Kern seines Wesens, er ist die Ehrlichkeit selbst. Was er singt und sagt, meint er ehrlich und aufrecht.
     
    Bleib aufrecht, lieber Konstantin, du Poet der Ehrlichkeit, bleib aufrecht, was auch immer an dir rüttelt.
     
    Herbert Rosendorfer

Eine ganze Menge Leben
1963   –   1979
     
     

 
    Kaum dass ich mir bewusst war,
    dein Haar zu halten
    und das Licht auf deiner Haut zu fangen
    und das Pflaster leuchtete wieder
    schön,
    wie die Mauer Schatten gab
    und das Haus im Tierkreiszeichen stand,
    abbrüchig,
    aber mit tausend Kellern,
    kaum dass ich mir bewusst war,
    dass du im Licht standst
    und in der Stunde,
    kaum dass ich mir bewusst war   –
    begann ich schon
    unseren leis atmenden Fluchtversuch zu bemerken.
    Kinderlied
     
    Komm mit zu den Kieseln, Kind,
    wir wollen sie ins Wasser werfen,
    wir wollen sie rollen lassen,
    die bunten Kiesel,
    Kind.
    Ich will mit dir spielen
    im Sand,
    ich will deine Augen haben,
    ich will dein Finger sein,
    ich bin der Kiesel,
    rund,
    bunt an den Ufern, Kind,
    da wollen wir spielen
    und:
    Komm mit zu den Kieseln,
    Kind.
     
     
    …wenn ein Baum hier wäre
    oder ein Blatt
    oder nur der Geruch eines Baums
    oder die Farbe eines Blatts,
    wenn der Tau hier wäre,
    der das Blatt nicht freigibt,
    oder eine Nase voll Rinde
    oder ein Tropfen Grün,
    wenn ein Baum hier wäre
    oder ein Blatt   …
     
     
    Die in Bahnhöfen das Glück suchen
    sind wartesaalblau,
    singen Schienensang,
    die in Bahnhöfen das Glück suchen,
    träumen Zeitungstraum.
     
    Und wenn sie aufstehen
    von den harten Begebenheiten,
    die in Bahnhöfen das Glück suchen,
    gehen sie alle unter die Räder.
    Noch im Liegen denken sie an Bettzeug
    und erlaubten Schlaf.
     
     
    Und das Wasser
    hat einen Mann,
    der treibt es.
     
    Klein sitzt er
    am Grund. Macht
    Welle um Welle.
    Die Käfer
     
    Käfer laufen
    Käfer surren
    Käfer zirpen
    Käfer schwirren
     
    Käfer auf Erde
    Käfer auf Tau
    Käfer braungold
    Käfer grünblau
     
    Käfer schwebt
    in singender Luft
    Käfer krabbelt
    in Blütenduft
     
    Käfer in Rinde
    vom Himmelbaum
    Käfer träumt
    Wurm-Traum
     
    Käfer möchte
    auf hohe Wipfel
    Käfer kann nicht
    kommt nie auf den Gipfel
     
    Käfer mordet
    Engerlingkind
    Käfer frisst
    Kind geschwind
     
    Käfer schießt
    Engerling tot
    Erde wird
    blutrot
     
    Käfer bist du,
    Engerling er
    Krieg haut zu
    Mensch ist nicht mehr
     
     
    Musst
    von den Pflastern
    die Ritzen
    meiden,
    Seevogel,
    sollst
    meine Erde nicht
    umpflügen
     
    Bin ein Kieselschiff,
    darfst mich
    ich
    nennen
     
     
    Es stürzen die Windgesichter,
    halt fest:
    die Zäune sind umgefallen,
    entzähmt
    die kaum riechbare Haut der
    Mädchen,
    die untastbare Welt ihrer
    Wortwahl,
    wieder prangt der Galgen
    und der Stimmbruch
    einer Generation
    lastet im Fleisch mir
     
     
    Komm mit zu den feuchten Wurzeln,
    satt trink dich,
    nimm eine Handvoll Erde,
    du,
    die Steine am Fluss
    schimmern rötlich,
    pass auf:
    ich zeichne ein Loch in die Luft,
    reite fort,
    reite fort,
    zögere nicht,
    es schwindet so rasch
     
     
    Aus den Sümpfen
sie blickte den Mohn
    pflückte einer
und die Farnmähne
    viel Ungebornes
der Moorbrüder
    und die Mantelnacht
entdeckte sie
    wer weiß
     
     
    Ohne zu wissen
    fiel ein sehr kleiner Mond
    in deine biegsame Hand
    wir waren’s:
    unsere Wundergestalten
    zauderten nicht
     
     
    Der Wind
    malt eine Fahne ins Wasser,
    so tief
    träumen die Freunde
    und einen silbernen Pinsel,
    hingegossen ans Ufer
     
    schau,
    der deine Hand hält,
    ist dein Traumgefährte,
    webt Bilder und Wunderflüche
    und sein Atem ist der
    schweigsame Regen der Nacht
     
     
    Bohr ein Loch in den Sand,
    sprich ein Wort hinein,
    sei leise,
    vielleicht
    wächst dein kleines Vertrauen
    irgendwann
    groß in die Sonne
     
     
    Bist ein seltner Fisch
    wieder
    hat sich mein Netz
    in dir
    verfangen
     
     
    Nach abgestandnem Männerfleisch
    schmeckt diese Luft,
    nachts im Asyl
    der Obdachlosen.
     
    Und Bett an Bett
    und Welt an Welt,
    ein gleicher Atemzug,
    der sich in allen wiederholt.
     
    Einstimmig
    ist der Gesang,
    nachts
    im Asyl der Obdachlosen.
     
     
    Zellen
    die Quadrate erwachsen
    sehr
    drüberhingleiten:
    ich fehle nicht
     
    unter den Händen
    die Hornsohle,
    festgeschnallt ans Haar,
    zählen:
    ein Tausendstel zu früh
     
    ein Tausendstel zu spät
    schon:
    ich würde entarten
     
    so
    zieht sich’s dahin.
     
     
    Wieder dort

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