Jeder stirbt für sich allein
Vorgesetzten. Was konnte ihm viel geschehen?
Sie brauchten ihren Escherich, für viele Dinge war er ihnen einfach unersetzlich. Sie würden schimpfen und toben, aber sie würden schließlich doch tun, was das einzig Richtige war: geduldig warten. Nein, Escherich hatte keine Vorschläge zu machen ...
Es war eine denkwürdige Sitzung. Diesmal fand sie nicht in Escherichs Zimmer, sie fand im Saal unter dem Vorsitz eines der höchsten Führer statt. Natürlich wurde nicht nur der Fall Klabautermann verhandelt, es wurden auch viele Fälle aus andern Abteilungen besprochen. Es wurde getadelt, gebrüllt, verächtlich gespottet. Und dann kam der nächste Fall.
«Kommissar Escherich, wollen Sie uns jetzt vortragen, was Sie uns über den Fall des Postkartenschreibers zu sagen haben?»
Der Kommissar wollte es vortragen. Es gab einen kleinen Bericht über das Geschehene und das bisher Ermittelte. Er machte das ausgezeichnet, kurz, genau, nicht ohne Witz, wobei er gedankenvoll seinen Schnurrbart streichelte.
Dann kam die Frage des Vorsitzenden: «Und was für Vorschläge haben Sie nun zur Erledigung dieses seit zwei Jahren anstehenden Falles zu machen? Zwei Jahre, Kommissar Escherich!»
«Ich kann nur weiter geduldiges Warten empfehlen, etwas anderes gibt es nicht. Aber vielleicht könnte man den Fall Herrn Kriminalrat Zott zur Nachprüfung übergeben?»
Einen Augenblick herrschte Totenstille.
Dann brach hier und da spöttisches Gelächter aus. Eine Stimme rief: «Drückeberger!»
Eine andere: «Erst verpfuschen, dann andere damit belasten!»
Obergruppenführer Prall ließ donnernd die Faust auf den Tisch fallen: «Ich werde mit dir Schlitten fahren, du Aas!»
«Ich bitte um vollkommene Ruhe!»
Die Stimme des Vorsitzenden klang leicht angewidert.
Es wurde still.
«Wir haben hier eben ein Verhalten erlebt, meine Herren, das fast einer - Fahnenflucht gleichzusetzen ist. Feiges Ausreißen vor den Schwierigkeiten, die jeder Kampf unvermeidlich bringt. Ich bedaure das. Escherich, Sie sind von der weiteren Teilnahme an dieser Sitzung entbunden.
Warten Sie in Ihrem Dienstzimmer meine Befehle ab!»
Der Kommissar, völlig fahl (denn nichts Derartiges hatte er erwartet), verbeugte sich. Dann ging er zur Tür, dort knallte er die Absätze zusammen und brüllte mit ausgestrecktem Arm: «Heil Hitler!»
Niemand beachtete ihn. Der Kommissar ging auf sein Zimmer.
Die ihm in Aussicht gestellten Befehle erschienen zuerst in der Gestalt von zwei SS-Männern, die ihn finster an-starrten und von denen der eine dann drohend sagte: «Sie haben hier nischt mehr anzurühren, verstehen Sie!»
Escherich wandte den Kopf langsam zu dem Mann hin, der so mit ihm sprach. Das war ein neuer Ton. Nicht, daß Escherich ihn noch nicht kannte, aber ihm gegenüber war er noch nie angewendet worden. Ein einfacher SS-Mann, der Kerl - es mußte schlimm um Escherich stehen, wenn der einen solchen Ton dem Kommissar gegenüber anschlug.
Ein brutales Gesicht, eingedrückte Nase, stark entwik-kelte Kinnpartie, neigt zu Roheitsakten, Intelligenz man-gelhaft entwickelt, in betrunkenem Zustande gefährlich, resümierte Escherich. Wie hatte das hohe Tier oben gesagt? Fahnenflucht? Lächerlich! Kommissar Escherich und fahnenflüchtig! Aber das sah diesen Brüdern ähnlich, immer hatten sie große Worte im Mund, und nachher passierte gar nichts!
Obergruppenführer Prall und Kriminalrat Zott traten ein.
Na also, haben sie meinen Vorschlag doch angenommen! Das Vernünftigste, was sie tun konnten, trotzdem ich nicht glaube, daß selbst dieser schlaue Tüftelkopf etwas Neues aus dem Material herausschinden kann!
Escherich will grade den Kriminalrat Zott freundlich-freudig begrüßen, schon um ihm zu zeigen, daß er über die Abgabe des Falles kein bißchen gekränkt ist, da fühlt er sich von den beiden SS-Leuten rauh zur Seite gerissen, und der mit dem Totschlägergesicht schreit: «Melde SS-Männer Dobat und Jacoby mit einem Häftling!»
Häftling - der soll ich wohl sein? denkt Escherich verwundert.
Und laut: «Herr Obergruppenführer, darf ich noch sagen, daß .»
«Mach, daß das Aas die Schnauze hält!» brüllt Prall, der wahrscheinlich auch was auf den Deckel gekriegt hat, wütend.
Der SS-Mann Dobat schlägt Escherich mit der geballten Faust gegen den Mund. Der fühlt einen wütenden Schmerz, widerlich warmen Blutgeschmack im Munde.
Dann beugt er sich vornüber und spuckt ein paar Zähne auf den Teppich.
Und während er das alles tut, ganz
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