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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Geld.
    «Aber Sie können doch selbst Musik machen, auf der Geige oder auf dem Klavier?»
    «Ja, das kann ich. Aber ich tue es nicht, wenigstens nie vor dem Publikum. Sehen Sie mal, Quangel, das ist doch ähnlich wie bei Ihnen: auch Sie können hobeln und sägen und Nägel einklopfen. Aber Sie haben es nicht getan, Sie haben nur die andern beaufsichtigt.»
    «Ja, damit sie möglichst viel schaffen. Haben denn Ihre Leute dadurch, daß Sie dastanden, nun schneller und mehr gespielt?»
    «Nein, das haben sie freilich nicht getan.» Schweigen.
    Dann sagte Quangel plötzlich: «Und bloß Musik ... Sehen Sie, wenn wir in unsern guten Zeiten gearbeitet haben, nicht nur Särge, sondern Möbel, Anrichten und Bücherschränke und Tische, da haben wir was gearbeitet, was sich sehen lassen konnte! Beste Tischlerarbeit,
    verzapft und geleimt, was noch in hundert Jahren hält. Aber bloß Musik - wenn Sie aufhören, ist nichts von Ihrer Arbeit geblieben.»
    «Doch, Quangel, die Freude in den Menschen, die gute Musik hören, die bleibt.»
    Nein, in diesem Punkte kamen sie nie zu einem vollen Einverständnis; eine leise Verachtung für die Tätigkeit des Dirigenten Reichhardt blieb in Quangel zurück.
    Aber er sah, daß der andere ein Mann war, ein aufrechter, wahrhaftiger Mann, der unter Bedrohungen und Schrecknissen sein Leben unbeirrt weitergelebt hatte, stets freundlich, stets hilfsbereit. Staunend begriff Otto Quangel, daß die Freundlichkeiten, die ihm Reichhardt erwies, nicht speziell ihm galten, sondern daß er sie jedem Zellengenossen erwiesen hätte, zum Beispiel auch dem «Hund».
    Einige Tage hatten sie einen kleinen Dieb in der Zelle, ein verdorbenes, verlogenes Geschöpf, und dieser Bengel nütz-te die Freundlichkeiten des Doktors hohnlachend aus; er rauchte ihm all seine Zigaretten fort, er verhandelte seine Seife an den Kalfaktor, er stahl das Brot. Quangel hätte diese Kreatur am liebsten verprügelt, oh, der alte Werkmeister hätte den Bengel schon zurechtgestutzt. Aber der Doktor wollte das nicht haben, er nahm den Dieb, der seine Güte als Schwäche verspottete, in Schutz.
    Als der Kerl schließlich aus ihrer Zelle geholt worden war, als sich herausgestellt hatte, daß er in unbegreiflicher Bosheit ein Bild, das einzige Bild, das Dr. Reichhardt von Frau und Kindern besaß, zerrissen hatte, als der Doktor trauernd vor den Fetzen dieses Bildes saß, die sich doch nicht wieder zusammenfügen lassen wollten, und als Quangel da zornig sagte: «Wissen Sie, Herr Doktor, ich glaube manchmal, Sie sind wirklich schlapp. Wenn Sie mir gleich erlaubt hätten, den Schuft ordentlich zusammenzustauchen, da hätte so was nicht passieren können»
    - da antwortete der Dirigent mit einem traurigen Lächeln:
    «Wollen wir denn werden die die andern, Quangel? Die glauben doch, daß sie uns mit Schlägen zu ihren Ansichten bekehren können! Aber wir glauben nicht an die Herrschaft der Gewalt. Wir glauben an Güte, Liebe, Gerechtigkeit.»
    «Güte und Liebe für solch einen boshaften Affen!»
    «Wissen Sie denn, wie er so boshaft wurde? Wissen Sie, ob er sich jetzt nicht gegen Güte und Liebe nur wehrt, weil er Angst davor hat, wenn er nicht mehr schlecht ist, anders leben zu müssen? Hätten wir den Jungen nur noch vier Wochen in unserer Zelle gehabt, Sie hätten die Wirkung schon gespürt.»
    «Man muß auch hart sein können, Doktor!»
    «Nein, das muß man nicht. Solch ein Satz gibt die Entschuldigung für jede Lieblosigkeit ab, Quangel!»
    Quangel bewegte unmutig den Kopf mit dem scharfen, harten Vogelgesicht hin und her. Aber er widersprach nicht weiter.

Das Leben in der Zelle
    Sie gewöhnten sich aneinander, sie wurden Freunde, soweit ein harter, trockener Mensch wie Otto Quangel der Freund eines aufgeschlossenen, gütigen Menschen werden konnte. Ihr Tag war - durch Reichhardt - fest eingeteilt.
    Der Doktor stand sehr früh auf, er wusch sich kalt am ganzen Leibe, machte eine halbe Stunde Gymnastikübungen und reinigte dann selbst die Zelle. Später, nach dem Frühstück, las Reichhardt zwei Stunden und ging dann eine Stunde lang in der Zelle auf und ab, wobei er nie vergaß, die Schuhe auszuziehen, um seine Nachbarn in der Zelle darüber und darunter nicht durch sein ständiges Aufundabgehen nervös zu machen.
    Bei diesem Morgenspaziergang, der von zehn bis elf Uhr dauerte, sang Dr. Reichhardt vor sich hin. Meist summte er nur ganz leise, denn vielen Aufsehern war kaum etwas Gutes zuzutrauen, und Quangel hatte sich daran

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