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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Wind!»
    «Und ich glaub's doch! Die haben sich jetzt alle ge-tarnt .»
    Aber die Herren auf der Gestapo waren auch nicht der Meinung des Braunhemdes. Übrigens wurde der Bericht des Füchsleins dort mit heiterer Ruhe aufgenommen. Dort war man immerhin schon andere Dinge gewohnt.
    «Na ja», sagten sie. «Schön und gut. Werden ja sehen.
    Wenn Sie sich vielleicht noch zu Kommissar Escherich bemühen wollen, wir verständigen ihn telefonisch, der wird die Sache bearbeiten. Geben Sie ihm noch einmal genauen Bericht, wie sich die beiden Herren verhielten. Natürlich geschieht im Augenblick nichts gegen sie, nur als Material für etwaige spätere Fälle kann so was nützlich sein, Sie verstehen doch ...?»
    Kommissar Escherich, ein langer, schlenkriger Mann mit einem losen, sandfarbenen Schnurrbart, in einem hellgrauen Anzug - alles an diesem Menschen war so farblos, daß man ihn gut für eine Ausgeburt des Aktenstaubes halten konnte -, also, Kommissar Escherich drehte die Karte zwischen den Händen hin und her.
    «Eine neue Platte», meinte er dann. «Die habe ich noch nicht in meiner Sammlung. Schwere Hand, hat nicht viel geschrieben in seinem Leben, immer mit der Hand gearbeitet.»
    «Ein Kapediste?» fragte das Füchslein.
    Der Kommissar Escherich kicherte: «Machen Sie doch keine Witze, Herr! So was und ein Kapediste! Sehen Sie, wenn wir eine richtige Polizei hätten und die Sache wäre
    es wert, so wäre der Schreiber da in vierundzwanzig Stunden hinter Schloß und Riegel.»
    «Und wie würden Sie das machen?»
    «Das ist doch ganz einfach! Ich ließe überall in Berlin recherchieren, wem in den letzten zwei, drei Wochen ein Sohn gefallen ist, ein einziger Sohn wohlgemerkt, denn der Schreiber hat nur einen Sohn gehabt!»
    «Woran sehen Sie denn das?»
    «Das ist doch ganz einfach! Im ersten Satz, wo er von sich spricht, sagt er so. Im zweiten, bei den andern, spricht er von Söhnen. Na, und auf die das dann zutrifft mit den Recherchen - es können gar nicht so viel sein in Berlin -, auf die hätte ich dann mein Augenmerk, und schon säße der Schreiber drin!»
    «Aber warum tun Sie's nicht?»
    «Ich hab's Ihnen doch schon gesagt, weil wir den Apparat dazu nicht haben, und weil's die Sache nicht wert ist.
    Sehen Sie, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder schreibt er noch zwei, drei Karten, und dann hat er's über. Weil's ihm zuviel Mühe macht oder weil das Risiko ihm zu groß ist. Dann hat er nicht viel Schaden angerichtet, man hat aber auch nicht viel Arbeit von ihm gehabt.»
    «Glauben Sie denn, daß hier alle Karten abgegeben werden?»
    «Alle nicht, aber die meisten doch. Das deutsche Volk ist schon recht zuverlässig ...»
    «Weil sie alle Angst haben!»
    «Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich glaube zum Beispiel nicht, daß dieser Mann», er klopfte mit dem Knöchel auf die Karte, «daß dieser Mann Angst hat. Sondern ich glaube, es tritt die zweite Möglichkeit ein: der Mann wird immer weiterschreiben. Laß ihn, je mehr er schreibt, um so mehr verrät er sich. Jetzt hat er nur ein kleines bißchen von sich verraten, nämlich, daß er einen Sohn verloren hat. Aber mit jeder Karte wird er mir ein bißchen mehr von sich verraten. Ich brauche gar nicht viel dazu zu tun.
    Ich brauche nur hier zu sitzen, ein bißchen aufzupassen und - schnapp! - habe ich ihn! Wir hier auf unserer Abteilung brauchen nur Geduld zu haben. Manchmal dauert es ein Jahr, manchmal noch mehr, aber schließlich kriegen wir unsere Leute alle. Oder fast alle.»
    «Und was dann?»
    Der Staubfarbige hatte einen Stadtplan von Berlin vorgeholt und an der Wand festgemacht. Nun steckte er ein rotes Fähnchen ein, genau dort, wo das Bürohaus in der Neuen Königstraße stand. «Sehen Sie, das ist alles, was
    ich im Augenblick tun kann. Aber in den nächsten Wochen werden immer mehr Fähnchen dazukommen, und dort, wo sie am dicksten sitzen, da steckt mein Klabautermann. Weil er nämlich mit der Zeit abstumpft, und weil es ihm den weiten Weg nicht mehr lohnt wegen einer Karte. Sehen Sie, an diese Karte denkt der Klabautermann nicht. Und ist doch so einfach! Und schnapp mache ich noch einmal und habe ihn auch so fest!»
    «Und was dann?» fragte das Füchslein, von einer lüsternen Neugier angetrieben.
    Kommissar Escherich sah ihn ein bißchen spöttisch an.
    «Hören Sie's so gerne? Na, ich tu Ihnen den Gefallen: Volksgerichtshof und weg mit der Rübe! Was geht das mich an? Was zwingt den Kerl, so 'ne blöde Karte zu schreiben, die kein Mensch liest

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