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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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willen, in der sie leben wollten, dieser da so unvermutet hereingeschnei-te Bruder und seine Frau mißfielen ihnen nicht. Heffkes waren in ihrer Art auch stille Leute, irgendeiner religiösen Sekte angehörend, die, nach einer Andeutung zu schließen, von den Nazis verfolgt wurde. Aber sie sprachen kaum davon, wie überhaupt alles Politische ängstlich vermieden wurde.
    Aber Quangel hörte staunend, wie die beiden, Anna und ihr Bruder Ulrich Heffke, Kindheitserinnerungen aus-tauschten. Zum erstenmal hörte er es, daß Anna auch einmal ein Kind gewesen war, ein Kind mit Übermut, Unarten und Streichen. Er hatte seine Frau erst kennengelernt, als sie schon ein älteres Mädchen gewesen war; er hatte nie daran gedacht, daß sie einmal ganz anders ausgesehen hatte, vor ihrem arg geplagten, freudlosen Dienstmädchendasein, das ihr so viel von ihrer Kraft Und ihrer Hoffnung genommen hatte.
    Nun sah er, während die Geschwister miteinander plau-derten, das kleine, arme märkische Dorf vor sich; er hörte, daß sie die Gänse hatte hüten müssen, daß sie sich vor der verhaßten Arbeit des Kartoffelbuddelns stets versteckt und viele Schläge deswegen bekommen hatte, und er erfuhr, daß sie im Dorfe recht beliebt gewesen war, weil sie sich, trotzig und couragiert, gegen alles aufgelehnt hatte, was ihr nach Ungerechtigkeit schmeckte. Hatte sie doch sogar einem ungerechten Schullehrer dreimal hintereinander mit einem Schneeball den Hut vom Kopfe geworfen
    - und sie war nie als die Täterin entdeckt worden. Nur sie und Ulrich hatten davon gewußt, Ulrich aber petzte nie.
    Nein, dies war kein unangenehmer Besuch, obwohl zwei Karten weniger als sonst geschrieben wurden. Quangels meinten es auch ganz aufrichtig, als sie den Heffkes beim Abschied einen Gegenbesuch versprachen. Sie hielten auch das Versprechen. Etwa fünf oder sechs Wochen später suchten sie die Heffkes in einer kleinen Notwohnung auf, die ihnen im Westen in der Nähe des Nollendorfplatzes frei gemacht worden war. Die Quangels benutzten diesen Besuch, um endlich auch mal im Westen eine Karte abzulegen; obwohl es Sonntag und das Bürohaus wenig belebt war, ging alles gut.
    Von da an folgten die gegenseitigen Besuche sich in et-wa sechswöchentlichem Abstand. Sie waren nicht weiter aufregend, aber sie brachten doch ein wenig andere Luft in das Leben der Quangels. Meist saßen Otto und seine Schwägerin schweigend am Tisch und lauschten auf das leise Gespräch der beiden Geschwister, die nicht müde wurden, von ihrer Kindheit zu plaudern. Es tat Quangel gut, auch diese andere Anna kennenzulernen; freilich fand er nie eine Brücke zwischen der Frau, die heute an seiner Seite lebte, und jenem Mädchen, das die Landarbeit verstand, mutwillige Streiche verübte und trotzdem als beste Schülerin der kleinen Landschule galt.
    Sie erfuhren, daß Annas Eltern noch immer in ihrem Geburtsort lebten, sehr alte Leute - der Schwager erwähnte beiläufig, daß er den Eltern monatlich zehn Mark sandte. Anna Quangel war schon drauf und dran, dem Bruder zu sagen, daß sie das von nun an auch tun würden, aber sie fing noch zur rechten Zeit einen warnenden Blick ihres Mannes auf und schwieg.
    Erst auf dem Heimweg sagte er dann: «Nein, besser nicht, Anna. Wozu solch alte Leute verwöhnen? Sie haben doch ihre Rente, und wenn der Schwager dazu noch alle Monate zehn Mark schickt, ist das genug.»
    «Wir haben doch soviel Geld auf der Sparkasse!» bat Anna. «Wir werden es nie aufbrauchen. Früher haben wir gedacht, es wäre mal für Ottochen, aber jetzt . Laß es uns tun, Otto! Und wenn es nur fünf Mark sind alle Monate!»
    Ungerührt antwortete Otto Quangel: «Jetzt, wo wir in der großen Sache drin sind, wi sse n wir nicht, wozu wir unse r Geld eines Tages noch brauchen werden. Vielleicht werden wir jede einzelne Mark gebrauchen, Anna. Und die alten Leute haben bisher auch ohne uns gelebt, warum nicht weiter so?»
    Sie schwieg, ein wenig gekränkt, vielleicht nicht so sehr in ihrer Liebe zu den Eltern, denn sie hatte kaum je an die alten Leute gedacht und ihnen nur einmal im Jahre aus Pflichtgefühl zu Weihnachten einen Brief geschrieben.
    Aber sie kam sich vor dem Bruder etwas blamiert und schäbig vor. Der Bruder sollte doch nicht denken, sie könnten nicht das, was er konnte.
    Anna sagte hartnäckig: «Der Ulrich wird denken, wir können's nicht, Otto. Er wird von deiner Arbeit gering denken, daß sie nur so wenig einbringt.»
    «Es ist doch ganz egal, was andere von mir denken»,

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