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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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und kein Mensch lesen will! Nee, das geht mich nichts an. Ich bezieh mein Gehalt, und ob ich dafür Marken verkaufe oder Fähnchen einpieke, das ist mir ganz egal. Aber ich werde an Sie denken, ich werde nicht vergessen, daß Sie mir die erste Meldung gebracht haben, und wenn ich den Kerl gefaßt habe, und es ist soweit, so schicke ich Ihnen eine Einladungskar-te für die Hinrichtung.»
    «Nee, danke wirklich. So war das nicht gemeint!» «Natürlich war es so gemeint. Warum genieren Sie sich
    denn vor mir?! Vor mir braucht sich kein Mensch zu genieren, ich weiß, was mit den Menschen los ist! Wenn wir hier das nicht wüßten, wer soll's denn sonst wissen? Nicht mal der liebe Gott! Also, abgemacht, ich schicke Ihnen ei-ne Karte zur Hinrichtung. Heil Hitler!»
    «Heil Hitler! Und vergessen Sie es auch nicht!»
    Ein halbes Jahr danach: Quangels
    Ein halbes Jahr später war den beiden Quangels das sonntägliche Schreiben der Postkarten bereits zur Gewohnheit geworden, zu einer heiligen Gewohnheit freilich, die ein Bestandteil ihres täglichen Lebens war wie die tiefe Ruhe, die sie umgab, oder die eiserne Sparsamkeit um jeden Groschen. Es waren die schönsten Stunden der Woche, wenn sie beide an den Sonntagen beisammensaßen, sie in der Sofaecke, mit irgendeiner Flick-oder Stopfarbeit beschäftigt, er steif auf dem Stuhl am Tisch, den Federhalter in der großen Hand, langsam Wort für Wort hinmalend.
    Quangel hatte seine anfängliche Leistung von einer Karte pro Woche jetzt verdoppelt. Ja, an guten Sonntagen brachte er es sogar auf drei Karten. Nie aber schrieb er eine Karte gleichen Inhalts. Sondern beide Quangels entdeckten, je mehr sie schrieben, um so mehr Fehler des Führers und seiner Partei. Dinge, die ihnen, als sie geschahen, kaum als tadelnswert zum Bewußtsein gekommen waren, wie die Unterdrückung aller anderen Parteien, oder die sie nur als zu weitgehend und zu roh durchgeführt verurteilt hatten, wie die Judenverfolgungen -diese Dinge bekamen jetzt, da sie zu Feinden des Führers geworden waren, ein ganz anderes Gesicht und Gewicht.
    Sie bewiesen ihnen die Verlogenheit der Partei und ihrer Führer. Und wie alle frisch Bekehrten hatten sie das Bestreben, andere zu bekehren, und so wurde der Ton, in dem diese Karten geschrieben wurden, nie monoton, und an Themen gab es keinen Mangel.
    Anna Quangel hatte nun längst ihren stillen Zuhörerposten aufgegeben, sie saß lebhaft da im Sofa, sprach mit, schlug Themen vor und dachte Sätze aus. Sie arbeiteten in der schönsten Gemeinsamkeit, und diese tiefe, innere Gemeinsamkeit, die sie nach so langer Ehe jetzt erst kennenlernten, wurde ihnen zu einem großen Glück, das über die ganze Woche hin sein Licht ausstrahlte. Sie sahen sich mit einem Blick an, sie lächelten, jedes wußte von dem andern, es hatte jetzt an die nächste Karte gedacht oder an die Wirkung dieser Karten, an die ständig wachsende Zahl ihrer Anhänger, und daß schon mit Begier auf die nächste Nachricht von ihnen gewartet wurde.
    Beide Quangels zweifelten nicht einen Augenblick daran, daß ihre Karten jetzt in den Betrieben heimlich von Hand zu Hand gingen, daß Berlin von diesen Bekämpfern zu sprechen anfing. Sie waren sich klar darüber, daß ein Teil der Karten der Polizei in die Hände fiel, aber sie nahmen
    an: höchstens jede fünfte oder sechste Karte. Sie hatten so oft an diese Wirkung gedacht und von ihr gesprochen, daß die Weiterverbreitung ihrer Nachrichten, das Aufsehen, das sie erregten, ihnen ganz selbstverständlich erschien, eine Tatsache, die man nicht bezweifeln konnte.
    Dabei hatten beide Quangels nicht den geringsten tatsächlichen Anhaltspunkt dafür. Ob Anna Quangel nun vor einem Lebensmittelladen in der Schlange anstand, ob der Werkmeister sich stumm mit seinen scharfen Augen zu einer Gruppe von Schwätzern stellte und eben nur durch sein Dortstehen ihr Geschwätz zum Aufhören brachte -niemals hörten sie ein Wort von dem neuen Kämpfer gegen den Führer, von den Botschaften, die er in die Welt sandte. Aber dieses Schweigen über ihre Arbeit konnte sie nicht wankend machen in dem festen Glauben, daß doch von ihr geredet wurde, daß sie ihre Wirkung tat.
    Berlin war eine sehr große Stadt, und die Verteilung der Karten erstreckte sich auf ein weites Gebiet, es brauchte seine Zeit, bis das Wissen von ihnen überall einsickerte.
    Kurz, den Quangels erging es wie allen Menschen: sie glaubten, was sie hofften.
    Von den Vorsichtsmaßregeln, die Quangel zu Beginn seiner

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