Jeder stirbt für sich allein
eine ordentliche Wirtschaft haben! Dazu mußte ihm der Arzt verhel-fen.
Erst Nummer 24, es dauert immer noch eine halbe Stunde, bis Enno drankommt. Ganz mechanisch steigt er über all die Füße weg und steht wieder auf dem Flur.
Trotz der bissigen Sprechstundenhilfe wird er noch eine Zigarette auf dem Klo stoßen. Er hat Glück, er gelangt ungesehen auf die Toilette, aber kaum hat er die ersten paar Züge gemacht, so rüttelt dieses Weibsbild doch wieder an der Tür.
«Sie sind ja schon wieder auf der Toilette! Sie rauchen ja schon wieder!» schreit sie. «Ich weiß genau, daß Sie es sind! Wollen Sie wohl machen, daß Sie rauskommen, oder muß ich erst den Herrn Doktor holen?»
Wie sie schreit, wie ekelhaft sie schreit! Da gibt er lieber
gleich nach, wie er stets lieber nachgibt als widersteht. Er läßt sich von ihr in den Warteraum jagen, er sagt nicht ein Wort zu seiner Entschuldigung. Und da lehnt er nun wieder gegen die Wand und wartet, daß seine Nummer drankommt. Die wird ihn schön beim Arzt verklagen, diese verdammte Kreuzotter, die!
Die Sprechstundenhilfe hat den kleinen Enno Kluge auf seinen Platz gejagt, sie geht zurück über den Flur. Dem hat sie es aber besorgt!
Da sieht sie eine Karte am Boden liegen, etwas entfernt vom Briefkastenschlitz. Die Karte hat vor fünf Minuten noch nicht hier gelegen, als sie dem letzten Patienten öffnete, das weiß sie genau. Und es hat gar nicht geklingelt, jetzt ist doch überhaupt nicht die Zeit für Postzustellung.
All das hat die Hilfe flüchtig gedacht, während sie sich nach der Karte bückt, und später weiß sie es auch ganz genau, daß sie schon da, ehe sie die Karte in Händen hielt, ehe sie noch gesehen hatte, was mit ihr los war, daß sie da schon das Gefühl hatte, dieser kleine schleichende Mann habe etwas damit zu schaffen.
Sie wirft nur einen Blick auf den Text, liest ein paar Worte und stürzt aufgeregt zum Arzt in das Behandlungszimmer. «Herr Doktor! Herr Doktor! Was ich da eben auf unserm Flur gefunden habe!»
Sie unterbricht die Konsultation, sie erreicht, daß der halbausgezogene Patient in ein Nebenzimmer geschickt wird, dann gibt sie dem Arzt die Karte zu lesen. Sie kann es kaum abwarten, daß er zu Ende gelesen hat, und schon berichtet sie von ihrem Verdacht: «Es kann wirklich kein anderer gewesen sein als dieser kleine Schleicher! Gleich war er mir unsympathisch mit seinem scheuen Blick! Und das verkörperte schlechte Gewissen, nicht einen Augenblick hat er sich ruhig halten können, immer auf den Flur raus, zweimal hab ich ihn von der Toilette gejagt! Und wie ich das zum zweitenmal tat, da hat hinterher die Karte auf dem Flur gelegen! Von außen kann sie gar nicht eingeworfen sein, dafür hat sie viel zu weit ab vom Briefkastenschlitz gelegen! Herr Doktor, rufen Sie gleich die Polizei an, ehe der Kerl wegschleicht! O Gott, er kann jetzt schon weg sein, ich muß gleich einmal nachsehen ...»
Damit stürzt sie aus dem Behandlungszimmer, die Tür hinter sich weit offenlassend.
Der Arzt steht da, die Karte noch immer in der Hand. Es ist ihm äußerst peinlich, daß so was grade in seiner Sprechstunde passieren muß! Gottlob, daß die Hilfe die Karte fand und daß er nachweisen kann, daß er seit zwei Stunden sein Zimmer nicht verlassen hat, nicht einmal auf der Toilette ist er gewesen. Das Mädchen hat recht, das beste ist, gleich die Polizei anzurufen. Er fängt an, im Telefonbuch nach der Nummer seines Reviers zu suchen.
Das Mädchen sieht durch die offengebliebene Tür. «Er ist noch da, Herr Doktor!» flüstert sie. «Er denkt natürlich, so kann er den Verdacht von sich ablenken. Aber ich bin ganz sicher .»
«Es ist gut», unterbricht der Arzt die Aufgeregte. «Machen Sie bitte die Tür zu. Ich spreche jetzt mit der Polizei.»
Er erstattet seine Meldung, bekommt die Weisung, den Mann unbedingt festzuhalten, bis jemand vom Revier kommt, gibt diese Weisung an die Hilfe weiter, sagt ihr, sie solle ihn sofort rufen, wenn der Mann Anstalten macht zu gehen, und setzt sich wieder in seinen Schreib-tischstuhl. Nein, die Behandlungen kann er jetzt nicht fortsetzen, er ist zu erregt. Daß gerade ihm so was passieren mußte, warum nur gerade ihm? Ein gewissenloser Kerl, dieser Kartenschreiber, er brachte die Leute in die größte Bedrängnis! Dachte er gar nicht an die Schwierigkeiten, die er ihnen mit seiner verdammten Karte machte?
Wahrhaftig, diese Karte hatte gerade noch zum Glück des Arztes gefehlt! Jetzt war die Polizei zu ihm
Weitere Kostenlose Bücher