Jeder stirbt für sich allein
unterwegs, vielleicht geriet er doch in Verdacht, man machte eine Haussuchung, und wenn sich dann auch erwies, daß der Verdacht falsch war, so fand man hinten in der Dienstbotenkammer ...
Der Arzt stand auf, er mußte ihr wenigstens Bescheid sagen .
Und setzte sich wieder. Wie konnte er denn in Verdacht geraten? Und außerdem, selbst wenn man sie fand, so war sie eben seine Hausdame, wie es ja auch ihre Papiere aus-sagten. All das war ja hundertfach bedacht und besprochen worden, seit er sich vor gut einem Jahr von seiner Frau, einer Jüdin, hatte scheiden lassen müssen -unter dem Druck der Nazis. Er hatte es getan, hauptsächlich auf ihre Bitten hin, um den Kindern wenigstens eine Existenz zu sichern. Später hatte er dann, nachdem er die Wohnung gewechselt, seine ehemalige Frau mit falschen Pa-pieren als seine Hausdame zurückgeholt. Eigentlich konnte gar nichts passieren, so jüdisch sah sie gar nicht aus ...
Diese unselige Karte! Daß sie grade auf ihn treffen mußte! Aber wahrscheinlich war es so, daß sie überall, wohin sie auch kam, Schrecken und Angst erregte. Jeder hatte in diesen Zeiten etwas zu verbergen!
Vielleicht war es grade der Zweck dieser Karte, Angst und Schrecken zu erregen? Vielleicht wurde diese Karte mit teuflischem Vorbedacht unter den Verdächtigen verteilt, um festzustellen, wie sich die verhielten? Vielleicht stand er schon länger unter Beobachtung, und dies war nur eines der Mittel, um festzustellen, ob der Verdächtige sich keine Blöße gab?
Er hatte sich jedenfalls korrekt benommen. Fünf Minuten nach Auffinden der Karte hatte er die Polizei verständigt.
Und er konnte ihr sogar einen Verdächtigen präsen-tieren, vielleicht einen armen Teufel, der gar nichts mit der Sache zu tun hatte. Nun, er konnte da nicht helfen, sollte der selber sehen, wie er aus der Geschichte herauskam! Die Hauptsache war, er blieb verschont.
Und obwohl diese Erwägungen den Arzt ruhiger gemacht haben, steht er auf und macht sich rasch und sicher eine kleine Morphiumspritze. Die wird ihn instand setzen, diesen Herren, die da zu ihm im Anmarsch sind, ruhig und sogar ein bißchen gelangweilt zu begegnen. Diese kleine Spritze ist das Hilfsmittel, zu dem der Arzt seit der Schande seiner Scheidung, wie er diesen Schritt innerlich noch immer nennt, häufiger seine Zuflucht nimmt. Er ist noch kein Morphinist, weit entfernt, er kommt manchmal fünf, sechs Tage ohne Morphium aus, aber wenn Schwierigkeiten auf seinem Lebensweg auftauchen, und diese Schwierigkeiten häufen sich jetzt während des Krieges immer mehr, so nimmt er Morphium. Das allein hilft ihm noch, ohne diese künstliche Hilfe verliert er seine Nerven.
Nein, noch ist er kein Morphinist! Aber er ist auf dem besten Wege, einer zu werden. Ach, wenn nur erst dieser Krieg vorbei wäre, daß man aus diesem elenden Lande hinaus könnte! Mit dem kleinsten Hilfsarztposten draußen im Ausland würde er zufrieden sein. Einige Minuten darauf empfängt ein blasser, etwas müder Arzt die beiden Herren von der Polizeiwache. Der eine ist nur ein uniformierter Wachtmeister, zur Aufsicht über die Flurtür hierher kommandiert. Er löst sofort die Sprechstundenhilfe ab.
Der andere ist ein Zivilist, Kriminalassistent Schröder -
in seinem Behandlungszimmer übergibt ihm der Arzt die Karte. Was er aussagen könne? Nun, er kann eigentlich nichts aussagen, er habe seit über zwei Stunden hier schon ohne Unterbrechung Patienten abgefertigt, etwa zwanzig oder fünfundzwanzig hintereinander. Aber er werde sofort die Sprechstundenhilfe holen.
Die Hilfe kommt, und sie hat viel auszusagen. Sehr viel.
Sie schildert diesen Schleicher, wie sie ihn nur nennt, mit einem Haß, der zwei harmlosen Rauchereien auf der Toilette gegenüber völlig unbegreiflich ist. Der Arzt beobachtet sie genau, wie sie da erregt, mit oft versagender Stimme aussagt. Er denkt: Ich muß jetzt mal sehen, daß sie wirklich was Ernstliches gegen ihren Basedow unternimmt. Es wird immer schlimmer mit ihr. So erregt, wie sie jetzt spricht, ist sie eigentlich schon nicht mehr voll zurechnungsfähig.
Der Kriminalassistent scheint Ähnliches zu denken. Mit einem kurzen «Danke! Ich weiß jetzt vorläufig genug», unterbricht er ihre Aussagen. «Zeigen Sie mir jetzt noch, Fräulein, wo die Karte auf dem Flur gelegen hat. Aber bitte möglichst genau!»
Das Fräulein, die Hilfe, legt die Karte auf eine Stelle, die sie vom Briefkastenschlitz, wie es scheint, unmöglich erreichen kann. Aber der Assistent
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