Jeder stirbt für sich allein
Brüder dazu! Ja, er muß heute noch einen Krankenschein kriegen, und es ist am schlaue-sten, er wartet hier weiter, da er nun schon so lange gewartet hat. Bei einem andern Arzt ist es ebenso voll, er muß bis in die Nacht sitzen, und von diesem hier hat er wenigstens gehört, daß er leicht krank schreibt. Wird er heute eben mal nicht auf Pferde wetten, muß es eben heute mal ohne den Enno gehen, hilft nichts ...
Er lehnt hüstelnd gegen die Wand, ein schwächliches Etwas. Besser ein Garnichts. Von jener Abreibung durch den SS-Mann Persicke hat er sich nie ganz erholen können. Jawohl, mit der Arbeit war es nach ein paar Tagen besser geworden, obwohl seine Hände nicht wieder die alte Geschicklichkeit erlangten. Es reichte jetzt gerade zu einem Durchschnittsarbeiter. Nie wieder würde er die alte Handfertigkeit erlangen, ein angesehener Mann in seinem Fach werden.
Vielleicht war es das, was ihm die Arbeit so gleichgültig machte, vielleicht lag es aber auch daran, daß er auf die Länge überhaupt nicht gerne mehr arbeitete. Er sah den Sinn und den Zweck der Arbeit nicht so recht ein. Wozu sich so anstrengen, wenn man auch ohne Arbeit ausreichend leben konnte! Etwa für den Krieg? Die sollten ihren
Scheißkrieg gut und gerne alleine führen, ihn interessierte der nicht. Vielleicht schickten die mal ihre ganzen fetten Bonzen an die Front, dann würde der Krieg schnell aus sein!
Nein, es war aber auch nicht die Frage nach dem Sinn seiner Arbeit, die ihm alle Tätigkeit verhaßt machte. Es war der Umstand, daß Enno zur Zeit ohne Arbeit leben konnte. Ja, er war schwach gewesen, er gestand es sich jetzt ein, er war wieder zu den Weibern gegangen, erst zu Tutti, dann zu Lotte, und die waren auch ganz bereit gewesen, diesen kleinen, anschmiegsamen Mann eine Weile durchzuschleppen. Und sobald man sich mit den Weibern einließ, war es mit jeder geregelten Arbeit aus. Schon morgens schimpften sie, wenn er um sechs Uhr seinen Kaffee und das Frühstück verlangte, was das wohl heißen sollte? Um diese Zeit schlief jeder Mensch, und ob er es denn nötig habe? Er solle doch ruhig wieder ins warme Bett kriechen!
Nun, ein-oder zweimal bestand man ein solches Gefecht siegreich, aber, wenn man ein Enno Kluge war, kein drittes Mal. Man gab nach, kroch zu der Frau in die Betten und schlief noch ein oder zwei oder sogar noch drei Stunden.
War es so spät, ging er überhaupt nicht mehr in die Fabrik, sondern machte den Tag blau. Oder war es noch früher, kam man eben ein bißchen zu spät zur Arbeit, mit irgendeiner lahmen Entschuldigung, wurde angeschnauzt (aber das war man ja schon lange gewohnt, da hörte man gar nicht mehr hin), tat ein paar Stunden was und ging heim, wieder vom Geschimpfe empfangen: Wozu man denn einen Mann im Haus hielte, wenn er den ganzen Tag fort war? Wegen der paar Mark! Die wären gewiß leichter zu verdienen! Nein, wenn es Arbeit sein mußte, wäre er besser in seinem engen Hotelzimmerchen geblieben, Weiber und Arbeit, das ließ sich nicht vereinigen. Bei einer ja, bei der Eva - und natürlich hatte Enno Kluge auch wieder einen Versuch gemacht, bei seiner Frau, der Briefbestellerin, unterzukriechen. Aber da erfuhr er von der Frau Gesch, daß die Eva verreist war. Die Gesch hatte einen Brief von ihr gekriegt, sie saß irgendwo im Ruppinschen bei Verwandten. Jawohl, sie, die Gesch, hatte jetzt die Schlüssel zu der Wohnung, aber sie dachte nicht daran, sie dem Enno Kluge auszuhändigen. Wer schickte regelmäßig die Miete: er oder seine Frau? Nun also, gehörte die Wohnung doch ihr, nicht ihm! Sie hatte sich seinetwegen schon genug Ungelegenheiten gemacht, sie dachte gar nicht daran, ihm die Wohnung freizugeben.
Übrigens, wenn er durchaus was für seine Frau tun wolle, so sollte er doch mal auf die Post gehen. Die hatten schon ein paarmal nach Frau Kluge geschickt, und vor kurzem war auch eine Vorladung vor irgendein Parteigericht gekommen; die Gesch hatte sie einfach mit dem Vermerk zurückgehen lassen. Aber das auf der Post sollte er ruhig mal regeln.
Seine Frau hatte da sicher noch Ansprüche.
Das mit den Ansprüchen hatte ihn gezwickt; schließlich konnte er sich als rechtlicher Ehemann ausweisen, Evas Ansprüche waren auch seine Ansprüche. Aber der Weg erwies sich als Fehlweg; auf der Post nahmen sie ihn mächtig in die Zange. Die Eva mußte irgendwas mit der Partei angestellt haben, die waren wütend auf sie! Er hatte es gar nicht mehr eilig, sich als
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