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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Frauen, daß man beim Weinen sehr gut nachdenken kann.
    Und bei diesem Nachdenken ist er darauf gekommen, daß es doch sehr unwahrscheinlich ist, daß die ihn aus dem Sprechzimmer eines Arztes heraus wegen Einbruchs verhaften. Wenn die ihn wirklich beschattet haben, dann konnten sie ihn auch auf der Straße oder im Treppenflur verhaften, da brauchten sie ihn nicht erst zwei Stunden im Wartezimmer sitzenzulassen ...
    Nein, diese Sache hat wahrscheinlich nicht das geringste mit dem Einbruch bei der Frau Rosenthal zu tun.
    Wahrscheinlich liegt der Verhaftung ein Irrtum zugrunde, und dunkel ahnt Enno Kluge, daß sie irgendwas mit der bösartigen Sprechstundenhilfe zu tun hat.
    Aber nun ist er einmal getürmt, und nie wird er so einem Bullen einreden können, daß er nur aus Nervosität weggelaufen ist, einfach, weil er jede Besinnung beim Anblick einer Uniform verliert. So was nimmt ihm solch ein Bulle nie ab. Er muß also schon was Glaubhaftes, Nachzuprüfendes gestehen, und was das sein soll, das weiß er auch gleich. Es ist zwar schlimm, darüber zu sprechen, und die Folgen sind nicht abzusehen, aber von zwei Übeln ist solch ein Geständnis gewiß das kleinere.
    Als er also jetzt zum Reden aufgefordert ist, trocknet er sich die Tränen ab und beginnt mit leidlich fester Stimme von seiner Arbeit als Feinmechaniker zu sprechen, und wie er so viel krank gewesen ist, daß die Herren dort böse auf ihn geworden sind, und nun wollen sie ihn entweder ins KZ oder in eine Strafkompanie stecken. Natürlich er-zählt Enno Kluge nichts von seiner Arbeitsscheu, aber er denkt, das wird der Bulle auch so kapieren.
    Und damit hat er sogar recht, der Bulle kapiert das ganz gut, was für ein windiges Früchtchen dieser Enno Kluge ist. «Ja, Herr Kommissar, und wie ich Sie da sah und die Uniform von dem Herrn Wachtmeister, und ich saß doch gerade beim Doktor, um mich krank schreiben zu lassen, da habe ich gedacht, nun ist es soweit, nun holen sie dich
    ins KZ, und da bin ich denn losgelaufen ...»
    «Soso», sagt der Assistent. «Soso!» Er überlegt eine Weile und sagt dann: «Aber es scheint mir, Sohn, daß du gar nicht mehr so recht glaubst, daß wir deswegen hier sind.»
    «Nein, eigentlich nicht», gibt Kluge zu.
    «Und warum glaubst du das nicht mehr, Sohn?»
    «Weil Sie mich da doch viel einfacher in der Fabrik oder in meiner Wohnung festnehmen könnten.»
    «Also, 'ne Wohnung hast du auch, Sohn?»
    «Aber natürlich, Herr Kommissar. Meine Frau ist doch bei der Post, ich bin richtig verheiratet. Meine beiden Jungen stehen im Felde, der eine ist bei der SS in Polen. Ich habe auch Papiere hier, ich kann Ihnen alles beweisen, was ich gesagt habe, wegen der Wohnung und wegen meiner Arbeitsstelle.»
    Und Enno Kluge zieht sein schäbiges, abgegriffenes Brieftäschchen hervor und fängt an, Papiere vorzusuchen.
    «Deine Papiere laß mal jetzt stecken, Sohn», sagt der Assistent abweisend. «Das hat später auch noch Zeit ...»
    Er versinkt in Nachdenken, und alles schweigt nun.
    Der Arzt aber hinter seinem Schreibtisch fängt eilig an zu schreiben. Vielleicht hat er doch Gelegenheit, diesem kleinen Männlein da, das von einer Angst in die andere gejagt wird, einen Krankenschein zuzustecken. Gallenleiden hat er gesagt, nun also. Das sind doch Zeiten, wo man dem andern helfen muß, wenn's nur irgend geht!
    «Was schreiben Sie denn da, Doktor?» fragt der Assistent, plötzlich aus seinem Nachdenken hochfahrend.
    «Krankengeschichten», erklärt der Arzt. «Ich will die Zeit ein bißchen nutzbringend verwenden, ein Haufen Menschen sitzt da noch in meinem Sprechzimmer.»
    «Richtig, Doktor», sagt der Assistent und steht auf. Er hat seinen Entschluß gefaßt. «Da wollen wir Sie auch nicht länger aufhalten.»
    Die Geschichte dieses Enno Kluge kann wahr sein, sie ist sogar höchstwahrscheinlich wahr, aber der Assistent wird das Gefühl nicht los, daß da noch irgend etwas anderes dahintersteckt, daß er nicht die ganze Geschichte zu hören bekommen hat. «Na, denn komm, mein Sohn! Du begleitest uns doch noch ein paar Schritte? O nein, nicht bis zum Alex, nur hierher auf unser Revier. Ich will mich doch gerne noch ein bißchen mit dir unterhalten, mein Sohn, so ein munterer Knabe wie du bist, und den Onkel Doktor dürfen
    wir hier auch nicht länger aufhalten.» Er sagt zum Wachtmeister: «Nein, keine Fessel. Er geht schon so fein brav mit, ist ja ein kluges Kind. Heil Hitler, Herr Doktor, und schönen Dank!»
    Sie sind schon an der Tür,

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