Jeder stirbt für sich allein
ihm gefunden.
Und dann noch ziemlich gewöhnliche Briefe von kommunen Weibern, so ein Früchtchen, verstehen Sie, Herr Kommissar. Aber immerhin an die Fünfzig heran.»
«Schön, schön», sagte der Kommissar, fand es aber gar nicht schön. Weder der Kartenschreiber noch ein etwaiger Verteiler konnte viel mit Weibern zu tun haben. Das stand für ihn fest. Seine eben erst wiederbelebte Hoffnung begann von neuem schwächer zu werden. Aber dann dachte Escherich an seinen Vorgesetzten, den Obergruppenführer Prall, und an die noch höheren Vorgesetzten bis zu Himmler hinauf. Die würden ihm in der nächsten Zeit das Leben verdammt schwer machen, wenn gar keine Spur vorlag. Hier aber war eine Spur, wenigstens lagen hier starke Beschuldigungen und verdächtiges Benehmen vor. Man konnte diese Spur verfolgen, auch wenn man sie im geheimsten Innern nicht ganz für die richtige hielt.
Man gewann Zeit, weiter geduldig zu warten. Niemand geschah ein Leid dadurch. Was kam es schließlich auf solch ein Früchtchen an!
Escherich stand auf. «Ich geh mal hinten zu den Zellen, Schröder. Geben Sie mir mal die neue Karte, und warten Sie hier.»
Der Kommissar ging ganz leise, er hielt die Schlüssel fest in der Hand, damit sie nicht klapperten. Ganz vorsichtig schob er die Blende vom Spion und sah in die Zelle.
Der Inhaftierte saß auf einem Schemel. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und seine Augen auf die Tür gerichtet. Es machte ganz den Eindruck, als sähe der Mann grade in das lauernde Auge des Kommissars. Aber der Gesichtsausdruck Kluges verriet, daß er nichts sah.
Der Mann war nicht zusammengeschreckt, als die Blende bewegt worden war, sein Gesicht hatte auch nichts Gespanntes, wie es sonst stets bei einem ist, der sich beobachtet fühlt.
Sondern er sah so einfach vor sich hin, kaum in Gedanken verloren, eher dösend, von trüben Ahnungen voll.
Der Kommissar am Guckloch wußte es jetzt mit Bestimmtheit: Dies war weder der Klabautermann noch ein Helfershelfer. Sondern dies war einfach ein Mißgriff - die Beschuldigungen mochten gelautet haben, wie sie wollten, und das Verhalten mochte noch so verdächtig gewesen sein.
Aber Escherich dachte auch wieder an seine
Vorgesetzten, er kaute an seinem Bart, er überlegte, wie man diese Sache recht lange hinziehen könnte, bis entdeckt wurde, dies war der Falsche. Blamieren durfte er sich ja auch nicht dabei.
Er schloß mit einem Ruck die Zelle auf und trat ein. Der Verhaftete war bei dem Klirren des Schlosses zusammengefahren, starrte erst verwirrt auf den Eintretenden, dann machte er einen Versuch aufzustehen.
Aber Escherich drückte ihn gleich auf den Schemel zurück.
«Bleiben Sie sitzen, Herr Kluge, bleiben Sie sitzen. In unserem Alter kommt man nicht mehr so leicht hinten hoch!»
Er lachte, und dieser Kluge machte auch Anstalten, mitzulächeln, aus purer Höflichkeit ein bißchen kläglich mitzulächeln.
Der Kommissar klappte das Bett von der Wand und setzte sich darauf. «Na, Herr Kluge», sagte er und sah aufmerksam in das blasse Gesicht mit dem schwachen Kinn, dem merkwürdig dicklippigen roten Mund und den hellen Augen, die ständig zwinkerten. «Na, Herr Kluge, und nun erzählen Sie mal, was Sie auf dem Herzen haben.
Ich bin der Kommissar Escherich von der Geheimen Staatspolizei.» Er fuhr sanft zuredend fort, als er den andern schon bei der Nennung der Geheimen Staatspolizei
ängstlich zurückzucken sah: «Sie brauchen keine Angst zu haben. Wir fressen keine kleinen Kinder. Und Sie sind doch bloß ein kleines Kind, das sehe ich doch ...»
Bei dem Hauch von Anteilnahme, der aus diesen Worten vernehmlich wurde, füllten sich Kluges Augen sofort wieder mit Tränen, sein Gesicht zuckte, die Backenmuskeln arbeiteten krampfhaft.
«Na, na!» sagte Escherich und legte seine Hand auf die des kleinen Mannes. «So schlimm wird's ja nicht sein.
Oder ist es so schlimm?»
«Es ist alles verloren!» rief Enno Kluge verzweifelt. «Ich bin ja doch hin! Ich hab keinen Krankenschein, und ich müßte zur Arbeit. Und hier sitze ich fest, und da schicken die mich ins KZ, da gehe ich gleich hops, das halte ich keine vierzehn Tage aus!»
«Nu, nu!» sagte der Kommissar wieder wie zu einem Kind. «Das mit Ihrer Fabrik, das wird sich ja regeln lassen.
Wenn wir jemand festhalten, und es stellt sich heraus, es ist ein ordentlicher Mann, so sorgen wir auch dafür, daß er keinen Schaden von dem Festhalten hat. Sie sind doch ein ordentlicher Kerl, Herr Kluge - was?»
Wieder
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