Jedes Kind Kann Regeln Lernen
lernt, klaffen manchmal weit auseinander. Das gilt für jedes Alter - vom Baby bis zum Schulkind.
Babyalter: Das erste Lebensjahr
"Mein Baby sollte bildhübsch und immer gutgelaunt sein. Wenn es nicht gerade schläft - und das tun Babys ja fast den ganzen Tag und nachts sowieso - kann es sich allein beschäftigen. Es lacht viel, ißt und trinkt gut und ist immer gesund. Laufen, sprechen und alles andere lernt es ein bißchen schneller als die anderen in seinem Alter. Da es sich überall schnell anpaßt, kann ich es auch überallhin mitnehmen. Es bleibt ohne Probleme auch mal bei der Oma oder beim Babysitter. Mein Baby ist sehr verschmust. Es kuschelt sehr gern mit mir und genießt die körperliche Nähe."
Wer von uns hat nicht insgeheim von so einem Bilderbuchbaby geträumt? Die Werbeindustrie setzt unsere Träume in Hochglanzzeitschriften und in der Fernsehwerbung geschickt in Bilder um. Wir sehen, was wir uns wünschen, und denken: "Ja, genau so sollte es doch sein!"
In Wahrheit können sich die Eltern, bei denen alles so verläuft wie erträumt, wirklich glücklich schätzen. Die problemlosen Bilderbuchbabys mit den glücklichen Eltern sind zwar "normal", und wir lernen bei den Vorsorgeuntersuchungen eine ganze Reihe davon kennen. Aber "normal" ist auch das Baby, das wenig schläft, sich nicht allein beschäftigen kann, wenig lacht und viel weint, schlecht trinkt und häufig krank ist, vielleicht unter Allergien oder einer chronischen Krankheit leidet, später laufen und sprechen lernt als die anderen, nicht gerne kuschelt und äußerst ungehalten auf Ortswechsel reagiert. Auch diese Kinder lernen wir bei den Vorsorgeuntersuchungen kennen, und zwar keineswegs selten. Am häufigsten lernen wir Kinder kennen, die sich irgendwo zwischen beiden Extremen bewegen.
Es ist Ihr gutes Recht, während der Schwangerschaft und in den ersten Wochen von einem perfekten Baby wie oben beschrieben zu träumen. Klüger ist es, sich zunächst einmal überraschen zu lassen. Sonst kann es Ihnen ergehen wie der jungen Mutter, die mir die folgende Geschichte erzählte:
"Ich war während der Schwangerschaft voller Vorfreude auf mein Baby. Ich rechnete fest mit einem Jungen. Ich malte mir alles wunderbar aus. Aber es kam alles anders. Ich bekam ein Mädchen. Die Kleine war äußerst anstrengend. Sie weinte viel und war meistens unzufrieden. Den ganzen Tag beanspruchte sie meine Aufmerksamkeit. Schon nach wenigen Wochen lagen meine Nerven blank. Das Ganze erinnerte mich an ein Kindheitserlebnis. Ich hatte mir einmal zu Weihnachten so sehr eine Eisenbahn gewünscht - und ein Puppenhaus bekommen. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Die Enttäuschung war grenzenlos."
Schon im Augenblick der Befruchtung stehen viele Dinge fest, die Sie nicht beeinflussen können: nicht nur Geschlecht, Körpergröße und Körperbau und Aussehen, sondern eben auch die Veranlagung zu bestimmten Erkrankungen, zum Schlafbedürfnis, zum Appetit, zum Temperament, zur Lernfähigkeit. Natürlich treffen die vererbten Anlagen immer auf mehr oder weniger günstige Umweltbedingungen, die Entwicklung des Kindes stark mitbeeinflussen. Aber ob Ihr Baby anfangs viel oder wenig weint, gut oder schlecht trinkt, viel oder wenig schläft, meistens krank oder meistens gesund ist, das entzieht sich weitgehend Ihrem Einfluß.
Deshalb darf die Frage auch nicht lauten: Welche Regeln soll ein Kind im ersten Lebensjahr lernen? - sondern sie muß lauten: Welche Regeln soll mein Kind lernen? Zunächst einmal kommt es darauf an, Ihr Kind so, wie es nun einmal auf die Welt gekommen ist, anzunehmen, auch wenn es "schwierig" oder chronisch krank oder behindert ist. Erziehungsziele für jedes Entwicklungsalter zu überlegen, die genau für Ihr Kind erreichbar und sinnvoll sind - diese sehr schwierige und wichtige Aufgabe kann Ihnen niemand abnehmen. Auch wir können aus diesem Grund keine Antworten geben, sondern eher zum Nachdenken anregen.
Vielleicht erstaunt es Sie, daß Kinder schon im Babyalter Regeln lernen. Statt von Regeln könnte man zutreffender von Zusammenhängen reden. Bedenken Sie: Ein neugeborenes Baby hat keine Ahnung, was richtig oder falsch, erwünscht oder unerwünscht ist. Aber ein Baby ist bereits in der Lage, sich die Reaktionen der Eltern auf sein Handeln zu merken. Es kann daraus Schlußfolgerungen ziehen und sein eigenes Verhalten darauf abstimmen. Seine Mittel sind noch begrenzt, aber trotzdem äußerst wirksam: Ein strahlendes Lächeln läßt bei uns
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