Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
Prolog
Die Talglichter warfen flackernde Schatten an die Holzwände der alten Hütte, in der Marie seit vielen Sommern lebte. Wenn Leute von höherem Stand sie besuchten, dann nur Frauen, denen Marie bei einer ungewollten Schwangerschaft helfen sollte. Hin und wieder kamen auch höhergestellte Männer, die ein Stärkungsmittel wollten. Nach Gift hatte noch keiner verlangt. Anders dieser Mann, der ihr nun gegenübersaß.
»Sieh mich ja nicht an, altes Weib. Man sagt, du hast den bösen Blick, und am Ende stimmt es noch!«
Ihr Besucher hatte sich vorgebeugt, seine Körperhaltung verriet Anspannung. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, weil er die Kapuze weit über die Augen gezogen hatte, doch die Stimme war ihr bekannt. Um weiter darüber nachzudenken, war sie jedoch viel zu aufgeregt. Seine sauberen und feingliedrigen Finger waren ineinander verschränkt, die Fingernägel zeigten einen gelblichen Schimmer. Vielleicht war er dem Alkohol verfallen und litt an einer Erkrankung der Leber.
»Glaubt bitte nicht, was man über mich erzählt, ich bin nur eine einfache Frau, die versucht, den Menschen in ihrer Not zu helfen.« Marie versuchte, ruhig zu sprechen, denn sie wusste, dass jeder Streit die Aussicht, dass er Veronika zu ihr zurückbrachte, schmälern würde.
Gestern hatte er die Kleine mitgenommen, als Marie ihm nicht das Gift geben konnte, nach dem er verlangte. Er hatte sich das spielende Mädchen gegriffen, auf sein Pferd gehoben und gedroht, es zu töten, sollte Marie nicht bis heute haben, was er wollte. Auch wenn sie irgendjemandem von ihm erzählen würde, sehe sie das Kind nie wieder. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er wahr machen würde, womit er drohte, und sich an diese Anweisung gehalten.
Heute war er ohne das Kind erschienen, und Marie ahnte Böses. Ihr war angst und bange, versuchte es ihn aber nicht spüren zu lassen. Sie hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Einerseits war sie damit beschäftigt gewesen, die Wolfswurz zu trocknen und zu mahlen, andererseits hatte sie aus lauter Sorge um Veronika sowieso kein Auge zumachen können.
Marie faltete ihre Hände, als wollte sie beten, doch sie wusste, dass Gott sie nicht erhören würde. Zu lange schon hatte sie sich von ihm abgewandt. Sie mied die Messe, ging nicht zur Beichte, denn sie glaubte nicht an einen Gott, der den Menschen unschuldige Kinder nahm, die Guten bestrafte oder die Bösen entkommen ließ. Sie war auch nie so heuchlerisch gewesen, in Momenten der Bedrängnis oder Not zu ihm zu beten, und das würde sie auch jetzt nicht ändern.
Nervös wippte der Mann mit seinem Knie. Wen wollte er mit dem Gift töten? Wer auch immer es sein mochte, man würde später nicht erkennen, dass er ermordet wurde.
»Herr, wo habt Ihr das Kind? Ich habe meinen Teil der Vereinbarung eingehalten und hergestellt, was Ihr wolltet. Nun ist es an Euch, den Euren Teil einzuhalten.«
»Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit sprichst. Gib mir, was ich verlange. Ich werde es ausprobieren, und wenn es das Richtige ist, bekommst du vielleicht das Kind zurück«, antwortete er verächtlich, griff unter seinen Umhang und zog einen Lederbeutel hervor. Es klimperte darin, als er ihn auf den Tisch warf, und wenn ihr Gehör sie nicht täuschte, war es der Klang von Talern, nicht von Pfennigen. Neugierig sah sie auf, blickte jedoch augenblicklich wieder zu Boden.
»Wenn du mir gibst, was ich verlange, sollst du die Münzen haben.«
Marie schüttelte den Kopf. »Die Münzen sind mir nicht wichtig, ich möchte nur das Kind unversehrt zurück. Vorher gebe ich nichts heraus.«
An seinem Schatten sah Marie, dass sein Arm sich schnell hob, als wolle er sie schlagen. Unwillkürlich duckte sie sich und sprach weiter: »Herr, ich bitte Euch inständig. Gebt mir das Kind zurück. Die Kleine ängstigt sich bestimmt. Habt Mitleid. Ich werde niemandem etwas sagen, das schwöre ich.«
Als sie das letzte Wort ausgesprochen hatte, traf seine Faust sie hart an der Schläfe. Marie verlor das Gleichgewicht und kippte vom Stuhl. Für einen Moment hüllte sich die Welt in Dunkelheit.
»Wage es nicht, Forderungen zu stellen«, fauchte ihr Gegenüber.
Sie rieb sich die schmerzhafte Stelle am Kopf. Die Angst legte sich wie ein Gürtel um ihre Brust, aber sie durfte es ihm nicht zeigen. Leicht benommen raffte sie sich wieder auf und setzte sich.
»Verzeiht … mein Herr, das wollte … ich nicht. Ich bin nur in Sorge.«
»Nun, hast du Gifte im Haus oder nicht?«
»Ja,
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