Jenny ist meistens schön friedlich

Farben und Zahlen rauskriegen muss, damit man klug wird, ist noch ganz. Klug ist Jenny sowieso schon. Deshalb kann sie das Spiel gut verkaufen.
    Das sagt sie auch zu Niko, als sie ihn unten vor der Haustür mit seinem Bagger sitzen sieht. Das Schraubenzieher-Set zu holen, hat er sich nicht getraut, sagt Niko.
    Dann will er nach oben und seinen Bagger auch noch schnell gegen ein langweiliges Spiel umtauschen, aber Jenny sagt, dazu ist es jetzt zu spät. Der Flohmarkt fängt jetzt an, und sie glaubt auch nicht, dass sie es schaffen können,
zwei
langweilige Spiele zu verkaufen.
    »Flohmarkt!«, schreit Jenny, als sie ihre Sachen ganz ordentlich auf den Plattenweg neben dem Fahrradständer gestellt haben. »Flohmarkt!« Aber leider geht gerade keiner vorbei.
    »Das ist ja langweilig!«, sagt Niko und will seinen Bagger schon wieder nach oben tragen.
    »Sonst ist auf dem Flohmarkt immer mehr los«, sagt Jenny. »Sei mal nicht so ungeduldig.«
    Da kommt tatsächlich Christoph aus dem zweiten Stock. Er ist elf und kann mit seinem BMX-Rad auf dem Hinterrad fahren.
    »Flohmarkt!«, schreit Jenny. »Kaufen Sie, kaufen Sie, wunderbar!«
    »Spinnst du?«, fragt Christoph, aber er guckt doch, was da neben dem Fahrradständer so liegt.
    Das Lernspiel schiebt er mit der Fußspitze zur Seite, aber den Bagger hebt er hoch und dreht ihn hin und her.
    »Soll denn der kosten?«, fragt er und schiebt sein Kaugummi von einer Backe in die andere.

    Niko zittert ein bisschen. Er reißt die Augen ganz weit auf, aber sagen tut er nichts.
    »Hundert Euro«, sagt Jenny vorsichtig. Mit Zahlen kennt sie sich nicht so gut aus. Aber hundert gibt es, und das ist nicht so schwierig wie 32 Euro 64 oder 13 Euro 12 oder all die komischen Worte, die Mama immer sagt, wenn sie im Supermarkt bezahlen muss.
    »Ihr tickt ja nicht mehr richtig«, sagt Christoph und drückt schon auf den Fahrstuhlknopf.
    Niko macht ein ganz komisches Geräusch und lehnt sich langsam wieder zurück. »Er wollte ihn nicht«, sagt Niko und sieht Jenny von der Seite an. »Soll ich doch noch ein Spiel holen?«
    »Das will er auch nicht«, sagt Jenny und guckt ein bisschen böse. Wenn einer schon den Bagger nicht kauft, kauft er so was Langweiliges bestimmt nicht. Aber dann muss sie wieder »Flohmarkt!« rufen, weil gerade ein alter Mann über die Straße direkt auf sie zukommt. Er hat einen Hund auf dem Arm, der ist so winzig, dass man ihn fast in die Hosentasche stecken könnte, und in der anderen Hand hält er einen Stock.
    »Was gibt es denn hier?«, fragt der Mann und beugt sich ganz, ganz vorsichtig nach unten.
    »Flohmarkt«, flüstert Niko und kriegt ziemlich ängstliche Augen.
    Mit der linken Hand greift er schon nach seinem Bagger und hält ihn fest.
    »So«, sagt der Mann und setzt seinen Hund auf den Boden. »Und das wollt ihr alles verkaufen?«

    Niko legt schnell auch noch die rechte Hand auf den Bagger, aber Jenny nickt.
    »Das ist hier nämlich ein wunderbar spannendes Lernspiel«, sagt sie. »Überhaupt nicht doof.«
    Der Mann nickt. »Tatsächlich«, sagt er und hebt den Deckel ab. »Habt ihr denn heute schon was verkauft?«
    Jenny schüttelt den Kopf. »Da kannst du Zahlen mit lernen«, sagt sie. »Und Farben. Und Dreiecke und Kreise und so was. Da wirst du klug von.«
    Der Mann lässt sich die Kärtchen zeigen, dann zieht er seine Geldbörse aus der Tasche.
    »Das nehme ich«, sagt er. »So was kann man ja immer brauchen. Was soll es denn kosten?«
    Jenny überlegt, dass hundert vorhin nicht richtig war, aber so viele Zahlen kennt sie auch nicht. »Einunddreißig«, sagt sie. Das ist ihre Hausnummer.
    »Hm«, macht der Mann. »Kann’s auch ein bisschen weniger sein?«
    Jenny weiß nicht, was weniger als einunddreißig ist.
    »Viel weniger«, sagt sie. Sie will das Lernspiel jetzt verkaufen. »Sag du.«
    »Zwei Euro«, sagt der Mann. »Ein Euro für jeden von euch.«
    Jenny nickt und gibt dem Mann das Spiel, und der Mann gibt jedem Kind einen Euro.
    »Schönen Tag noch!«, sagt er und hält das Hundehalsband fest.
    »Willst du auch einen Bagger?«, ruft Jenny ihm nach. Aber der Mann dreht sich nicht mehr um, und dann kommt auch lange Zeit keiner mehr vorbei. Da hören sie auf mit Flohmarktspielen und kaufen sich lieber ein Eis.
     
    »Hast du heute schön mit Niko gespielt?«, fragt Mama beim Abendessen.
    Jenny nickt. »Wir haben einem alten Mann geholfen«, sagt sie.
    »Das ist aber lieb«, sagt Mama. »Was habt ihr denn gemacht? Ihm seine Tasche getragen? Oder