Zwischen Diesseits und Jenseits
Es passierte noch nichts. Zunächst bekam er mit, dass die Schritte vor der Tür verstummten, dann schlug jemand von außen gegen das Holz, und Ignatius spürte jetzt die Spannung in sich. Er legte seine Hände auf die Stuhllehnen und war bereit, sich abzustemmen, was er nicht mehr brauchte, denn die Tür wurde von außen geöffnet.
Nicht schnell oder ruckartig. Sie schob sich langsam nach innen, und es erschien auch eine Gestalt, die über die Schwelle hinweg taumelte. Es war Pasquale, einer der Männer, die für die Weiße Macht arbeiteten und Nachrichten aus aller Welt auswerteten.
Man konnte die Weiße Macht als den Geheimdienst des Vatikans ansehen. Hier hatten sich Männer zusammengefunden, deren Interessen allein darauf gezielt waren, Unheil von der Kirche abzuhalten. Offiziell gab es sie nicht, denn sie arbeiteten mehr im Geheimen, aber sie waren stets präsent und hielten die Augen offen.
Pasquale, ein Mann um die 40, übertrat die Schwelle. Er ging nicht normal, das sah Ignatius schon bei den ersten Schritten. Er war erschöpft, atmete pfeifend und zog beim Gehen das linke Bein nach, als hätte er sich dort etwas verdreht.
Hustend kam er auf den Schreibtisch zu, hinter dem sich Ignatius erhoben hatte.
»Gütiger Himmel, Pasquale, was ist mit dir?«
Der Ankömmling gab keine Antwort. Es sah aus, als könnte er nicht reden. Er bewegte sich weiter, und es blieb beim Nachziehen des linken Beins. Ignatius konnte Pasquale’s Gesicht nicht so gut erkennen. Er glaubte allerdings, dass sich dort der Schrecken abmalte und besonders in den Augen zu sehen war.
Er saß längst nicht mehr hinter seinem Schreibtisch, war aufgestanden und ging ihm entgegen. Pasquale atmete keuchend. Er war schwach und ließ alles mit sich geschehen.
Ignatius führte ihn zu einer schweren Sitzgruppe aus dunklem Leder. Sie stand im Hintergrund des großen Arbeitszimmers, in dem auch die Regale mit den Büchern auffielen. Das Licht einer Stehlampe breitete sich aus, als Ignatius den Mann in einen Sessel drückte und mit leisen Worten beruhigend auf ihn einsprach.
Ungewöhnliche Vorgänge erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Ignatius besaß immer etwas, was einem Menschen in einer derartigen Lage gut tat. Eine Medizin, die er in einem Schrank versteckt hielt und jetzt hervorholte.
Es war eine mit bestem Grappa gefüllte Flasche. Zwei Gläser holte er ebenfalls hervor, weil er sicher war, dass auch er einen Schluck brauchen würde.
Pasquale saß im Sessel und atmete heftig. Er hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen wie jemand, der sich schämt, und aus seinem Mund drang kein Wort der Erklärung.
Ignatius kippte die Gläser im Stehen halb voll. Sie sahen aus wie kleine Wassergläser, waren aber dicker. Das Gluckern der Flüssigkeit in die Gläser hinein schien für Pasquale ein Zeichen zu sein, denn er ließ die Hände sinken und schaute Ignatius an.
»Trink erst mal.«
» Si , danke.«
Pasquale zitterte. Ignatius musste ihm das Glas schon zwischen beide Hände drücken, damit er es festhielt und nichts verschüttete. Dabei streifte sein Blick auch über das Gesicht des Mannes, auf dem eine Schweißschicht lag. Deutlich sah er in den Augen das Gefühl der Angst, aber Ignatius stellte noch keine Frage.
Pasquale führte das Glas zum Mund. Es stieß mit dem Rand an die Unterlippe. Er trank noch nicht, sondern atmete zunächst scharf durch die Nase ein, als wollte er das Aroma des Trester-Schnaps in sich aufnehmen.
»Trink, Bruder, es wird dir gut tun.« Auch Ignatius griff nach seinem Glas und hob es an.
Er trank nur wenig, aber Pasquale kippte den Schnaps bis auf einen geringen Rest in die Kehle. Ignatius schaute genau hin, und er war jetzt froh, das Licht eingeschaltet zu haben, denn so konnte er auch die linke Halsseite des Mannes sehen, und er entdeckte dort den langen dunklen Streifen, der sich feucht und glänzend nach unten zog und aussah, als hätte man ihn auf die Haut gepinselt.
Das war kein Teer. Es bestand auch nicht aus einer anderen dunklen Flüssigkeit. Ignatius musste kein zweites Mal hinschauen, um zu wissen, dass er von einer Verletzung stammte, die dem Mann am Hals beigebracht worden war.
Eine Wunde. Klaffend, auch blutend, wobei ein Teil des Blutes bereits getrocknet war.
Father Ignatius gefiel diese Wunde gar nicht. Sie ließ auf etwas Bestimmtes schließen, über das er allerdings nicht sprach, denn er wollte, dass Pasquale redete.
Ignatius nahm ihm das fast leere Glas aus der Hand und fragte:
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