Jenseits aller Vernunft
Lydias Schenkel gelegt hatte.
»Die Blutung ist nicht schlimm. Eure weiblichen Teile sehen aus, als wenn sie prima heilen würden, auch wenn Ihr Euch noch ein paar Tage wund fühlen werdet.«
Mas Offenheit wirkte überhaupt nicht grob, auch wenn es Lydia immer noch peinlich war, sich an dieser Stelle betrachten zu lassen. Sie wunderte sich, dass sie überhaupt noch Schamgefühle besaß, wenn sie bedachte, wo sie die letzten zehn Jahre verbracht hatte. Ihre Mutter muss te ihr wohl Anstand beigebracht haben, bevor sie auf die Farm der Russells zogen. Die waren da nämlich anders. Aber wer hätte schon ein schmutziges, abgerissenes, barfüßiges Mädchen ernstgenommen? Sie hatte genauso ausgesehen wie die Russells, also wurde sie auch mit denen in einen Topf geworfen.
Aber offensichtlich gab es Menschen, die mit ihrem Urteil über andere nicht so schnell bei der Hand waren. Zum Beispiel die Langstons. Ihnen hatten ihre schmutzigen, abgerissenen Kleider nichts ausgemacht. Sie verachteten sie nicht, weil sie ein Baby bekommen hatte ohne einen Ehemann. Sie behandelten sie wie eine anständige Frau.
Aber sie fühlte sich nicht anständig, auch wenn sie das mehr als alles auf der Welt gern sein wollte. Wahrscheinlich würde es Jahre dauern, den Makel loszuwerden, den die Russells ihr aufgeprägt hatten - doch selbst wenn sie dafür ihr Leben opfern muss te, wollte sie sich von ihm befreien.
Im Laufe des Tages begegnete sie der Reihe nach auch den restlichen Mitgliedern des Langston-Clans. Die beiden Jungen, die sie gefunden hatten, steckten scheu die Köpfe in den Wagen, als ihre Mutter sie ihr vorstellte. »Das da ist mein Ältester, Jakob; aber alle nennen ihn Bubba. Der andere heißt Luke.«
»Danke, dass ihr mir geholfen habt«, flüsterte Lydia. Sie nahm es ihnen nicht mehr übel, dass sie ihr das Leben gerettet hatten. Jetzt, wo Clancey allmählich aus ihrem Bewusstsein verschwand, schien alles nicht mehr ganz so schrecklich.
Die beiden hellblonden Jungen erröteten bis zum Haaransatz und murmelten »gern geschehen«.
Anabeth war eine gesellige, lebhafte Zwölfjährige. Dann gab es noch Marynell, Samuel und Atlanta mit jeweils einem Jahr Altersunterschied. Der Kleinste, Micha, war ein pummeliger Dreijähriger.
Zeke riss sich den Hut von seinem bereits kahl werdenden Kopf, als er spät am Abend von hinten in den Wagen sah. »Freut mich, Euch hierzuhaben, Miss ... äh ... Lydia.« Er lächelte, und Lydia bemerkte, dass er nur zwei Zähne vorn im Mund hatte.
»Es tut mir leid, dass ich Euch so viel Mühe mache.«
»Ist nicht der Rede wert«, winkte er ab.
»Ich werde mich so bald wie möglich wieder auf den Weg machen.« Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen oder was sie tun sollte, doch durfte sie sich dieser freundlichen Familie nicht unnötig aufdrängen, in der es sowieso schon so viele Mäuler zu stopfen gab.
»Na, also darüber macht Euch mal keine Gedanken. Werdet zuerst wieder gesund, dann finden wir schon ’ne Lösung.«
Alle Langstons stimmten in dieser Angelegenheit überein. Doch Lydia dachte voller Sorgen an die anderen Leute des Trecks. Sicherlich hatte es Tratsch gegeben wegen des Mädchens, das hier in der Wildnis und ohne Mann ein totes Kind geboren hatte und jetzt mitfuhr. Ma hatte sich geweigert, auch die allerfreundlichsten Besucher hereinzulassen, die kamen, um nach dem >armen unglücklichen jungen Mädchen< zu sehen; standhaft blieb sie bei ihrer Auskunft, dass sie wohl durchkommen würde und es später noch genug Gelegenheit gäbe zum Kennenlernen.
Lydias erste Begegnung mit einem Außenstehenden ereignete sich, als mitten in der Nacht jemand hinten an den Wagen klopfte. Sie setzte sich mit einem Ruck auf und drückte ihre Decke an die Brust in der festen Überzeugung, dass Clancey von den Toten auferstanden war, um sie zu holen.
»Immer mit der Ruhe, Lydia«, sagte Ma und schob sie zurück auf die Kissen.
»Ma Langston!« rief die ungeduldige Stimme eines Mannes. Eine schwere Faust pochte an die hintere Klappe. »Ma, bitte, seid Ihr da drin?«
»Höllenfeuer und Verdammnis, weshalb das Geschrei?« hörte Lydia Zeke von außen vor dem Wagen sagen. Er und die Jungen schliefen auf den Lagern unter dem Wagen.
»Zeke, Victoria hat Wehen bekommen. Ob Ma wohl zu ihr kommen könnte?« Die Stimme klang tief, belegt und voller Angst. »Sie fühlt sich schon seit dem Abendessen nicht gut. Und ich bin sicher, dass es Wehen sind und nicht nur Verdauungsprobleme.«
Inzwischen war Ma ans
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