Jenseits Der Unschuld
ersten Mal wiedersahen. Aber es konnte gar nicht anders sein. Der Gedanke, dass Suzanne all die Jahre gewusst hatte, dass Jake lebte, war so entsetzlich, dass sie sich weigerte, darüber nachzudenken.
Suzanne wich Sofies Blick aus. »Mir geht es gut.« Sie hob das Kinn, ohne Jake anzusehen, richtete kein einziges Wort an ihn. »Vielleicht sollte er jetzt besser gehen.«
Sofie fühlte einen schmerzlichen Stich. Nach dem völlig unerwarteten Wiederauftauchen von Jake stand die Familie vor mancherlei Schwierigkeiten. Doch was es auch sein mochte, die Tatsache, dass er am Leben und bei ihnen war, war bedeutsamer als alle Probleme, die daraus erwachsen konnten. Mit Gottes Hilfe würden sie alle Hindernisse und jeden Skandal heil überstehen.
Jake drückte seine Tochter noch einmal an sich. »Das ist der schönste Tag in meinem Leben«, krächzte er. »Nicht nur, weil ich an deiner Hochzeit teilnehmen kann, sondern weil ich dich in meinen Armen gehalten habe und mit dir reden durfte. Ich liebe dich, Sofie. Du bist die Kraft, die mich all die Jahre am Leben erhalten hat.«
Sofie umarmte ihn. »Ich liebe dich, Vater. Ich habe dich nie vergessen. Du hast mir sehr gefehlt. Wir werden morgen ausführlich darüber reden. Ich bin so aufgeregt. Jetzt können wir viel Zeit miteinander verbringen.«
Jake grinste. »Nach all den Jahren kann ich auch noch einen Tag warten.« Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und wandte sich an Edward. »Ich schulde Ihnen meinen Dank, Edward«, sagte er mit großem Respekt.
»Den nehme ich gern an«, antwortete Edward. Und dann fügte er leise hinzu: »Willkommen daheim, Jake.«
Jakes goldene Augen blitzten belustigt auf. »Willkommen in der Familie O'Neil, Edward.« Dann verließ er den Warteraum.
»Ich muss jetzt auch gehen, bevor der Pfarrer oder dein Stiefvater mich suchen«, sagte Edward. In seine Augen trat ein bewunderndes Leuchten. »Mein Gott, Sofie, bist du schön.«
Sofie strahlte ihn an. »Ich dachte schon, du bemerkst es gar nicht.«
Sofie hörte dem Organisten zu, der den Hochzeitsmarsch spielte. Benjamin lächelte ihr zu und hielt ihr den Arm hin. Sofie hakte sich bei ihm unter.
Benjamin führte sie den mit Lilien bestreuten, roten Teppich entlang. Sofie lächelte durch Tränen. Edward, der vor dem Altar neben dem Priester stand, blickte ihr entgegen. Er sah blendend aus in seinem eleganten Cut mit der grauen Seidenkrawatte. Neben ihm standen sein Vater und sein Bruder. Auf der anderen Seite des Altars hatten Suzanne, Rachelle, Edwards Mutter und seine Schwägerin Aufstellung genommen. Sofies Blick suchte und fand Jake, der in einer der hinteren Kirchenbänke Platz genommen hatte und ihr zulächelte. Dann sah Sofie wieder nach vorne zum Altar, und das Herz wollte ihr vor Glück zerspringen. Sie schwebte auf Edward zu in einer Wolke aus weißem Tüll, Chiffon und zarter Spitze, und die Blicke der Liebenden hefteten sich ineinander. Das war der schönste Augenblick in Sofies Leben. Das Schicksal hatte ihr das schönste Geschenk gemacht, das es im Leben eines Menschen gibt - das Geschenk der Liebe.
Teil Vier
Jenseits der Unschuld
Epilog
New York City, 1993
Sie eilte mit ausholenden, federnden Schritten die Park Avenue entlang und schlängelte sich durch die Menge der Passanten. Auf ihren hohen Absätzen war sie beinahe einen Meter achtzig groß. Sie trug enge, schwarze Liederjans, eine klassisch weiße Hemdbluse und einen breiten Gürtel von Donna Karan mit einer dreireihigen Goldkette als Schließe. Um die Schultern hatte sie ein schwarzes Kaschmirjäckchen gelegt. Das volle, schwarze Haar war kurz geschnitten. Ihre Erscheinung zog die Blicke der Passanten auf sich, von Männern und Frauen gleichermaßen. Ihre außergewöhnliche Schönheit war Erbgut des Großvaters, wie die Familie stets zu betonen pflegte.
Mara Delanza ging unter der cremefarbenen Marquise des Delmonico hindurch und ließ sich vom Portier bei Christie's nebenan die Tür öffnen. Ihr Herz schlug nicht nur von dem schnellen Fußmarsch durch die City heftiger.
Ihrer Schätzung nach müsste die Nummer 1502 gegen zwölf Uhr fünfundvierzig zum Aufruf kommen. Wenn die vorangegangenen Nummern jedoch nicht hoch gesteigert wurden, konnte der Aufruf auch früher erfolgen. Jetzt war es dreiviertel zwölf.
Ohne auf die dezent gekleideten Herren im Foyer zu achten, in denen sie Sicherheitskräfte vermutete, eilte Mara in den Versteigerungsraum. Die meisten Stühle waren besetzt. Ihr Puls beschleunigte sich
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