Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Stimme des Colonels, brüchig geworden unter Hitze und Kälte, spröde nach Jahrzehnten des Befehlstons, klang unvermittelt geschmeidig.
»Sie hatten Glück.«
Ein Raunen brodelte durch die Kompanie.
»... respektlos und anmaßend ...«, zischte jemand.
»Wofür hält der sich!«, giftete ein anderer.
Mit einer knappen Geste brachte Colonel Norbury die Unmutsäußerungen zum Verstummen.
»Mr Danvers, ich rate Ihnen dringend, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, was unsere Armee wäre ohne Männer wie Lord Raglan oder General Gough. Männer, die maßgeblich am Aufbau unseres Empires beteiligt waren und es zu dem machten, was es heute ist.«
Worte, die einen Schlusspunkt unter diese Diskussion setzen sollten, doch Kadett Danvers fuhr unbeirrt fort:
»Ich will deren Leistung nicht in Abrede stellen, Colonel Sir. Letztlich ist es jedoch die Gesamtheit der Truppen, die über Sieg oder Niederlage entscheidet. Eine erfolgreiche Schlacht, ein gewonnener Krieg ist nie auf die Taten eines einzelnen Mannes zurückzuführen, sondern auf die vieler.«
Möglich, dass Jeremy Danvers bei diesen Worten an seinen Vater dachte; zumindest lag diese Vermutung für Colonel Norbury nahe, wenn auch nichts in der undurchdringlichen Miene oder in der gleichbleibend festen Stimme des Kadetten Aufschluss darüber gab. Die Tapferkeit von Private Matthew Danvers, der damals als Invalide von der Krim zurückgekehrt war, stellte einen der Punkte in Jeremy Danvers’ Lebenslauf dar, die ungeachtet aller Bedenken für die Annahme seiner Bewerbung ausschlaggebend gewesen waren; eine alte, nie verjährte Schuld der Armee, beglichen am nachgeborenen Sohn.
»Ja, Kadett Hainsworth?«
Sämtliche Augenpaare richteten sich auf den Kadetten, der auf sein Handzeichen hin das Wort erteilt bekam.
Nicht durch sein Aussehen allein stach er in Sandhurst aus der Masse der blau uniformierten Offiziersanwärter heraus, mit dem welligen Haar in der Farbe von Honig und Weizen, das sich trotz des kurzen Militärschnitts im Nacken kräuselte, und mit den Augen, die so blau waren wie der Sommerhimmel über Surrey. Seine Züge waren nicht unbedingt vollkommen zu nennen; dafür war die Nase eine Spur zu stark geraten, das Kinn, in dem sich wie ein Fingerabdruck ein Grübchen andeutete, etwas zu herb und die Augen, deren Schnitt zu den Schläfen hin leicht abfiel, ein wenig zu schmal. Dennoch war er nicht anders als gutaussehend zu nennen. Ein Strahlen ging von ihm aus, das einen auf der Stelle für ihn einnahm, etwas Sonniges, Heiteres, Leichtes. Vor allem wenn er lächelte oder lachte, was er oft tat, und Leonard James Hainsworth Baron Hawthorne, der Sohn des Earl of Grantham, hatte auch allen Grund dazu, hatte es immer gehabt.
»Colonel Sir.« Er nickte seinem Professor zu, bevor er Danvers ansprach, der sich halb zu ihm umgedreht hatte. »Im Großen und Ganzen teile ich deine Ansicht, Jeremy. Nur – wie willst du später als Offizier deine Männer dazu bewegen, ihr Bestes zu geben? Bis zum Äußersten zu gehen?« Einen nach dem anderen sah er die umsitzenden Kadetten an, bedachte sie mit einem Lächeln, das die Kerben um seine Mundwinkel vertiefte und das ebenso gewinnend war wie schelmisch. Ein Lächeln, das unwiderstehlich anzog, das unwillkürlich ansteckte und beifälliges Murmeln auslöste. »Das kannst du doch nur erreichen, indem du selbst ihnen ein Vorbild bist und im Ernstfall alles auf eine Karte setzt! Wenn der Offizier seinen Heldenmut unter Beweis stellt, wird jeder einzelne Soldat es ihm gleichtun.«
Faul, aber begabt , der geborene Wortführer, lautete in Sandhurst das einhellige Urteil über Leonard Hainsworth. Letzteres weniger aufgrund von Herkunft und Stand, denn aus guten bis noblen Familien mit entsprechendem Grundbesitz und Vermögen stammten hier so gut wie alle; vielmehr waren es Hainsworth’ Erscheinung und sein Charakter, die ihn zum Idealbild eines Offiziers machten, und Colonel Norbury fühlte Stolz in sich aufsteigen, einen Kadetten wie ihn in diesem Jahrgang zu haben.
»Ein wichtiger Punkt, Mr Hainsworth.«
Er wartete, bis die beiden auf einen Wink von ihm Platz genommen und bis sich die Aufmerksamkeit der ganzen Kompanie wieder auf ihn gerichtet hatte.
»Was Sie sich immer, unter allen Umständen, vor Augen halten müssen: Sie werden nicht nur Offiziere sein, sondern vor allem Gentlemen. Beides ist nicht voneinander zu trennen. Sie werden nicht nur die Krieger sein, die den Frieden unserer Nation verteidigen und
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