Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
Vom Netzwerk:
sogleich auf, bis sie fast ins Bläuliche spielten, und der breite, geschwungene Mund verzog sich auf einer Seite nach oben. »Ich bin einfach machtlos dagegen – sobald ich den Namen Alma höre, wandern meine Gedanken in gänzlich andere Gefilde!«
    Vielstimmiges, wissend-raues Gelächter brandete auf, in dem Simon Digby-Jones sichtlich badete.
    Die schmalen Lippen des Colonels zuckten flüchtig unter dem silbrigen Oberlippenbart, verhärteten sich dann sogleich wieder. »Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen, Gentlemen. Und Ihnen, Mr Digby-Jones, erst recht.«
    Augenblicklich herrschte wieder Stille im Raum. Colonel Norbury entging nicht der Verschwörerblick, den Digby-Jones mit den beiden Kadetten in der benachbarten Bank wechselte, als er sich wieder setzte.
    »Kadett Ashcombe!«
    Royston Ashcombe, der sich mit gelangweilter Miene in die Bank geflegelt hatte, als sei er nur aus Versehen hierhergeraten, setzte sich auf und erhob sich schließlich zu seiner vollen Größe.
    »Um eine bessere Sicht auf das Schlachtfeld zu erhalten, ritt Lord Raglan mit seinem Stab über den Fluss«, leierte er herunter, »an der französischen Schützenlinie unter Marschall de Saint-Arnaud zur Linken vorbei und durch die gegenüberliegende russische Schützenlinie unter General Menschikow. Oben auf dem Bergrücken angelangt, befand er diesen für eine hervorragende Geschützstellung und ließ Neunpfünder dort positionieren, mit denen er die Russen zum Rückzug zwang.« Er erwiderte das knappe Nicken des Colonels und ließ sich in die Bank zurückfallen.
    »Ich würde gerne Ihre Meinung dazu hören, Gentlemen – wie ist diese Entscheidung Lord Raglans aus taktischer Sicht zu bewerten?«
    Die Kadetten sahen sich verunsichert an und beschäftigten sich sogleich angelegentlich mit ihren Schreibutensilien; urplötzlich schien es nichts Wichtigeres zu geben, als die Kolben der Federhalter neu zu befüllen und Bleistifte anzuspitzen.
    Colonel Norbury war für seine Fangfragen berüchtigt, besonders wenn es Schlachten betraf, in denen er selbst gekämpft hatte. Er war dabei gewesen, in jenem Krieg vor gut dreißig Jahren, lange bevor die jungen Männer geboren waren, als auf der Krim englische und französische Truppen mit den Soldaten desZarenreichs in tödlicher Umklammerung lagen. In der Schlacht an der Alma, in der Schlacht von Inkerman, als das Regiment des Colonels mehr als die Hälfte seiner Männer verlor. Es mögen nur wenige vom 95. übrig sein – aber die sind aus Eisen gemacht , hieß es danach über dieses Regiment, und niemand hier am Royal Military College hegte Zweifel an dieser Aussage.
    In der ersten Reihe war wieder eine Hand zu sehen, dieselbe wie zuvor, und geradezu herausfordernd langsam ging der Colonel darauf zu, jeder seiner Schritte ein klackender Akzent. Nur wer genau hinsah, bemerkte, dass er dabei mit dem linken Bein vorsichtiger auftrat. Ein Überbleibsel seiner schweren Verwundungen während des Aufstands in Indien, die das Ende seines aktiven Dienstes bedeutet hatten. Das Victoria Cross, die höchste militärische Auszeichnung des Empire – von vielen begehrt, doch nur den allerwenigsten für herausragende Tapferkeit im Angesicht des Feindes verliehen –, war sein Trost dafür gewesen, und hier in Sandhurst machte es Colonel Norbury beinahe zu einer Legende.
    Stephen zog den Kopf ein, als sich der Colonel auf die Bank zu bewegte. So starr sich seine Augen auf die Notizen vor ihm hefteten, so fieberhaft drückte sein Daumen die Kappe des Füllfederhalters auf und zu. Knick-knack. Knick-knack. Knick-knack. Kalter Schweiß brach ihm aus, als der Colonel unmittelbar vor ihm stehen blieb und er sich von dessen Augen durchbohrt fühlte. Nimm Jeremy dran , bat er stumm. Du siehst doch, dass er sich drum reißt! Nimm ihn dran! Bitte, verschon mich heute!
    »Kadett Norbury!«
    Es war schlimm genug, hier sein zu müssen, in Sandhurst. Doch als Sohn des Professors für Gefechtsführung in dessen Unterricht zu sitzen war die Hölle.
    Mit weichen Knien stemmte Stephen sich hoch. Er musste seine ganze Kraft zusammennehmen, um dem Colonel in die Augen zu sehen, wie es Anstand und Respekt geboten. Keine Güte oder Milde konnte er darin lesen, in diesen Augen, die denseinen so gar nicht ähnelten. Stephen und seine Schwestern hatten die braunen Augen ihrer Mutter; von ihr hatte Stephen auch den empfindsamen Mund geerbt und die hohen Wangenknochen, während er sonst bis hin zum nussbraunen Haar, fein und weich wie

Weitere Kostenlose Bücher