Jenseits des Protokolls
engagieren. Aber wie gesagt: In diesen dreieinhalb Minuten, als Christian seine Rede hielt, war ich einfach nur die schweigende Frau des scheidenden Bundespräsidenten.
Trauer, Wut oder Hass? Nein. Eher war es eine Kombination aus Gleichgültigkeit und Amüsement, die mich beschäftigte, als ich auf diese lebende Wand von Journalisten blickte. Rund 100 waren zu dem Termin zugelassen, dabei sein wollten weitaus mehr. Ich schaute mir jedes Gesicht genau an. Viele von ihnen kannte ich. Sie haben uns die zwei Jahre über begleitet, in guten wie in schlechten Zeiten. Sie haben Fotos gemacht, die schönen und die fiesen. Nun hatten sie sich alle noch einmal versammelt, knieten und standen vor uns, quasi bewaffnet mit ihren Blöcken, Stiften, Diktiergeräten, Fotoapparaten und Kameras, um auch ja nicht nur ein Detail zu verpassen. Natürlich waren sie gierig und sie bekamen das, worauf einige von ihnen gewartet hatten. In den einen oder anderen Gesichtern ein Triumphgefühl zu sehen, bestärkte mich in diesem Moment nur noch mehr in meinem Gedanken: Es ist gut, dass es vorbei ist. Es war schön, aber jetzt reicht es auch!
16 Die Zukunft
Der Morgen danach, das Leben danach, begann mit einer totalen Leere, einem großen schwarzen Loch. Die Gefühle der Erleichterung und Befreiung sowie die starke Sehnsucht nach Ruhe dominierten in den ersten Tagen nach Christians Rücktritt in mir. Trotzdem fehlte zunächst die Zeit, dass ich über mich hätte nachdenken können. Der Umzug zurück nach Großburgwedel musste organisiert werden, auch die Unterbringung von Leander und Linus in der Schule beziehungsweise dem Kindergarten. Ich musste mein Büro aufräumen, Termine absagen, es gab einfach ganz viel abzuschließen und anderes in die Wege zu leiten. Erst etwa Anfang/Mitte März, als auch endlich die mediale Belagerung vor unserem Haus abebbte, stellte ich mir einmal wieder die Frage: »Was macht eine Frau des Bundespräsidenten, wenn sie keine Frau eines Bundespräsidenten mehr ist?« Ich denke, für mich war und ist diese Frage vielleicht sogar noch ein Stück weit mehr von Bedeutung, als sie es für meine Vorgängerinnen war. Eva Luise Köhler war 63, als ihr Mann vom Amt des Bundespräsidenten zurücktrat. Christina Rau 47 Jahre am Ende der Amtszeit ihres Mannes. Da war ich mit meinen 38 Jahren nicht nur fast ein junges Küken, ich war im Gegensatz zu den anderen beiden vor allem auch noch Mutter von zwei Söhnen, acht und fast vier Jahre, die versorgt werden wollten.
Am liebsten hätte ich irgendetwas im Zusammenhang mit der Fußballbundesliga gemacht. Es war schon lange ein Traum von mir, hinter den Kulissen, zum Beispiel in der Presseabteilung, für einen Bundesliga-Verein zu arbeiten. Aber eben als Mutter von zwei kleinen Kindern ist dies eher unrealistisch. So ein Job wäre nicht in Teilzeit zu leisten. Ich dachte weiter über den Sportbereich nach und kam auf die Olympischen Spiele in London, auch die Paralympics, und mir fiel das Medizintechnikunternehmen Ottobock ein, das vor allem für die Herstellung innovativer Prothesen steht und dort auch Weltmarktführer ist. Ich kannte das Unternehmen aus Duderstadt bereits aus Christians Zeiten als niedersächsischer Ministerpräsident und wusste zudem, dass Andreas, unser Trauzeuge, einen freundschaftlichen Draht zum Firmenlenker Hans Georg Näder hält. Ich rief Andreas an und fragte, ob er den Kontakt herstellen könne. Und dann ging auch alles ziemlich schnell. Gleich Ende März trafen Hans Georg Näder und ich uns das erste Mal und überlegten gemeinsam, wie eine mögliche Zusammenarbeit aussehen könne. So entstand die Idee, mich bei den Paralympics in London, Ende August 2012, als Hospitality-Managerin in das Geschehen rund um Ottobock einzubinden. Konkret bedeutete dies, dass ich Kunden und Gästen von Ottobock, aber auch Delegationen, beispielsweise aus dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages, unter anderem die Werkstatt zeigte, in der allen Sportlerinnen und Sportlern in einem 24-Stunden-Service geholfen wurde. Ich informierte über die Arbeit des Unternehmens und erklärte, was Sportlerinnen und Sportler mit Handicap für eine technische Unterstützung benötigen, um Hochleistungsergebnisse zu erzielen.
Ich empfinde es als ganz großartig, für Ottobock arbeiten zu können. Denn ich stehe zu hundert Prozent hinter den Vorstellungen und Visionen des Unternehmens und möchte dazu beitragen, dass dieser, sagen wir: Randbereich, des Sports stärker in den Fokus
Weitere Kostenlose Bücher