Gebannt: Band 3 (German Edition)
Prolog
» Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund …«
1. Mose 9, 14
EVELYN
Sie musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass er da war. Es war lange her, dass sich Evelyn ausschließlich au f ihre Augen verlassen musste.
Sie stieß einen letzten markerschütternden Schrei aus, einen Schrei, mit dem sie zu gleichen Teilen ihre Erleichterung und Freude, aber auch ihre Verzweiflung und ihren Schmerz herausschrie. Es war vollbracht – ihre höchste Freude war nun zum Greifen nahe, gleichzeitig stand ihr jedoch ihr größtes Opfer bevor.
» Es ist ein Mädchen«, sagte die Hebamme und legte ihr das Baby in die Arme.
Evelyn starrte au f das winzige Baby hinunter und fragte sich, wie sie die Stärke aufbringen sollte, es loszulassen.
» Sie ist perfekt, Eve. Sie sieht genau wie du aus. Meine beiden wunderschönen Engel«, sagte James.
Er weinte noch immer. Seit der ersten Wehe war er ein heulendes Häufchen Elend gewesen, aber seine Worte ließen die erste stille Träne aus Evelyns Auge quellen. Liebevoll wischte er sie ab.
» Ich wusste, du würdest weinen«, neckte er sie, während sein Blick zwischen seiner Frau und seiner Tochter hin- und herwanderte. Sanft strich er dem Baby über die Stirn.
Evelyns Herz zog sich zusammen. Sie war nicht darau f gefasst gewesen, ihn zu verlassen. Sie war immer davon ausgegangen, dass sie ihn überleben würde. All die Zeit, die sie damit verbracht hatte, sich zu überlegen, wann sie ihm endlich alles sagen würde – wie sie erklären sollte, dass er immer älter werden würde, während man ihr das Älterwerden kaum ansehen würde. Vertane Zeit.
Sie blickte au f ihre Tochter hinunter, die ein wenig die Augen öffnete. Jetzt war es ihre Entscheidung, ob er es je erfahren würde.
Evelyn zog James’ Hand an ihren Mund und küsste sie, wobei sie ihre Lippen au f seiner Haut verweilen ließ. Sie atmete seinen Vanilleduft ein und übergab ihn ihrer Erinnerung. Sie wünschte, sie hätten mehr Zeit, aber sie spürte die Magneten der Macht um sie herum. Sie konnte es nicht mehr viel länger ignorieren.
» James, ich würde mich gern kurz frisch machen.« Es war ihre letzte Lüge, und trotzdem hasste sie es. Ihren Mann zu belügen war ihr schon immer schwergefallen.
Er küsste sie rasch. Es ging zu schnell.
» Bin gleich wieder da, › Mum‹«, sagte er augenzwinkernd, bevor er ging. Es zerriss ihr das Herz zu wissen, dass sie dieses Wort nur ein einziges Mal hören würde.
Allein mit ihrer Tochter küsste Evelyn sie au f ihr perfektes Köpfchen. Sie hatte bereits einen vollen Haarschopf, dunkelbraun wie Evelyns, und sie roch … so unglaublich gut. Es war ein Duft, in dem sie sich für alle Ewigkeit verlieren könnte. Sie wünschte, sie könnte sie für immer so halten, ihren Duft einsaugen und mit ihren winzig kleinen Fingern spielen.
Doch sie wusste … Sie waren nicht wirklich allein.
» Habe ich dir die Träume zu verdanken?«, fragte sie in den leeren Raum.
Er materialisierte sich, eine körperliche Gestalt, die die mächtige Präsenz bestätigte, die sie bereits gespürt hatte. Es war, als wäre er schon immer da gewesen. Sie spürte ihn mit ihrem ganzen Körper. Sie hatte sie schon immer spüren können. Sie konnte sie auch riechen. Sie rochen immer nach Blumen, aber er duftete ausschließlich nach Lilien.
Und sie wusste: Lilien besaßen alle Macht.
Unnötigerweise stellte er sich vor. Sie wusste genau, wer er war und weshalb er hier war. Er hatte sie jetzt schon seit Wochen in ihren Träumen heimgesucht.
Er stand am Fenster, das au f einen kleinen Park hinausging. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er die Welt regelmäßig besuchen konnte, aber diese Zeit war längst vergangen. Er wollte während seines kurzen Besuchs wenigstens das Gras und den Himmel sehen.
Sie wussten beide, wie es funktionierte. Neues Leben und neuer Tod ähnelten einem Tor.
» Ist dir klar, was du von mir verlangst?«, fragte sie.
» Ja.«
» Was wird aus ihr werden?«
» Der Keshet.« Er sagte das mit einer Ehrfurcht, die Evelyn nervös machte.
» Der Regenbogen?«, wiederholte sie, weil sie das hebräische Wort kannte.
Er nickte. » Der Bogen, der unseren Pfeil hält. Die Verbindung zwischen den Reichen.«
» Der Bogen«, flüsterte Evelyn vor sich hin. » Warum sie? Warum ich?« Es schien nicht fair zu sein – sie hatte schon so viel gegeben.
Er spürte ihren
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