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Jenseits des Protokolls

Jenseits des Protokolls

Titel: Jenseits des Protokolls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Wulff , Nicole Maibaum
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rückt. Denn die technischen Hilfen ermöglichen vielen gehandicapten Sportlerinnen und Sportlern die Erfüllung ihrer Träume. So gesehen bin ich sehr glücklich darüber, dass ich auch bei den kommenden beiden Paralympischen Spielen, in Sotschi und Rio de Janeiro meine Tätigkeit für Ottobock fortsetzen kann. Darüber hinaus werde ich das Unternehmen auch in anderen Bereichen wie zum Beispiel bei seinem sozialen Engagement für Kinder unterstützen. Diese Vorausplanung gibt mir eine gewisse Sicherheit. Denn vorerst möchte ich nicht zurück in eine Festanstellung. Lieber möchte ich projektbezogen arbeiten, um eben von dem terminlich sehr durchgeplanten Leben Abstand zu gewinnen. Ich möchte mir nicht zuviel aufhalsen. In meiner Planung reicht es aus, zwei, vielleicht drei große Auftraggeber zu haben, für die ich regelmäßig tätig sein kann. Ich möchte selbstständiger entscheiden können, wie und wo ich arbeite. Dass ich vielleicht einmal eine Woche im Einsatz bin, um danach im Idealfall drei, vier Tage freizuhaben, um für die Familie da zu sein und um mich auch ein Stück weit selbst wieder neu zu ordnen.
    Nach Christians Rücktritt habe ich erst einmal einen, sagen wir, Kassensturz gemacht. Ich schaute in den Spiegel und war gelinde gesagt entsetzt. Zwar höre ich jetzt immer wieder von Menschen, die mich nur oberflächlich kennen, Sätze wie: »Sie sehen aber toll aus, und das nach all dem Erlebten«, doch Freunde und meine Familie bescheinigen mir das Gegenteil. Ich habe abgenommen, fünf Kilo, ich quäle mich seit eineinhalb Jahren mit Magenschmerzen herum, meine Augen wirken matt und müde und meine Haut ist schlichtweg ein Desaster. Fast habe ich den Eindruck, dass sie mir sagen will: »So, jetzt hast du jahrelang dein Gesicht in die Kamera gehalten, das haste nun davon. Ich mach jetzt mal einen auf rot, trocken und gereizt. Denn ich will das alles nicht mehr.« Aber nicht nur äußerlich sehe und spüre ich die Folgen. Auch innerlich hat sich etwas bewegt. Ich will mich endlich einmal um meinen eigenen Kern kümmern, um mich selbst, meine Träume und Wünsche. Und wie ich das nun tue, erscheint meinem Umfeld teilweise sehr rigoros. Auch Christian muss sich diesbezüglich umstellen, denn ich fordere jetzt mehr Zeit für mich ein, gehe wieder öfter zum Sport, verabrede mich mit Freundinnen und vor allem kümmere ich mich um meine berufliche Zukunft. Ich finde das adäquat, dafür habe ich und dafür haben auch die Kinder zu lange nach dem Terminkalender meines Mannes gelebt.
    Ich habe mich zurückgezogen, weil ich einfach lange Zeit über meine physischen und psychischen Kräfte gelebt habe, und das wurde mit einer großen Selbstverständlichkeit so hingenommen. Es wurde eingefordert, auch von meinem Mann, und ich weiß, dass es nur eine Person gibt, die das ändern kann und klarer Grenzen ziehen muss. Das bin ich selbst.
    Nach dem Rücktritt hatte ich irgendwann endlich auch die Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, was zwischen uns beiden, zwischen Christian und mir, alles unausgesprochen wie selbstverständlich mitgelaufen ist. Dass ich mich zum Beispiel in bestimmte Situationen habe regelrecht hineinpressen und mir aufdiktieren lassen, wie man sich verhält, was man zu tun und zu lassen hat. Und dass es so immer wieder Situationen und Momente gab, die meinem Charakter und Naturell nicht entsprachen. Beispielsweise im Januar 2012 etwa drei Stunden beim offiziellen Neujahrsempfang des Bundespräsidenten mehreren Hundert Bürgern, Verbandsvertretern und Politikern die Hand zu schütteln, Small Talk zu machen, zu lächeln, als liege nichts in der Luft. In diesen Augenblicken im Schloss Bellevue lief meine Gefühlswelt quasi Amok und permanent stellte ich mir Fragen wie: »Was machst du hier? Warum machst du das hier? Warum bist du nicht bei deinen Söhnen, wo du eigentlich gerne sein würdest? Warum gönnst du dir nicht die Ruhe, nach der du dich so sehnst? Dich beschäftigt doch etwas ganz anderes!« Aber wie selbstverständlich habe ich diesen Termin wahrgenommen und artig gelächelt, eben weil ich wusste, dass die Menschen das erwarten und dass viele der Gäste sich auf diese Veranstaltung gefreut haben, weil es für sie etwas Besonderes ist. Außerdem gehört es einfach mit zum Job der Gattin des Bundespräsidenten dazu, auch wenn ich innerlich schon ein Stück weit rebellierte. Mich nervte es regelrecht, abends vor den Kleiderschrank zu treten und mir die leidige Frage des Anziehens zu stellen.

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